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  Bales, der faule Apfel

Es stellt sich also heraus, dass der des Massenmords Verdächtige Robert Bales einmal in einer Unterhaltung auf Facebook ein ungehöriges Wort gebraucht hat.

Das ist eines der bizarreren Details seines Lebens, das atemlos in den Medien ans Licht gezerrt wurde, zusammen mit seinem breiten Lächeln, Vorstrafenregister und der verheerenden Finanzgebarung. Das Wort war „Hadschi,“ die übliche von den Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika verwendete rassistische Verunglimpfung, um Iraker schlecht zu machen, und Geschichten, in denen ich über seinen Gebrauch dieses Ausdrucks las, nehmen das als Aufhänger, als wollten sie suggerieren, dass das etwas erklären könnte: die kleine Störung, die auf eine Neigung zum Massakrieren von Kindern hinweist.  

Etwas stimmte nicht bei ihm, richtig? Wie immer gehen die Massenmedien unhinterfragt davon aus, dass die Gräueltat das Werk eines gestörten Individuums ist ... ein gestörter Patriot, ein fauler Apfel. Mit keinem Wort wird die Möglichkeit erwähnt, dass mit dem militärischen System und der Kultur etwas nicht stimmt, die ihn hervorgebracht haben.

In der Tat fühlte sich ein Artikel über die „Hadschi”-Geschichte im Wall Street Journal bemüßigt darauf hinzuweisen, dass „Befehlshaber der Vereinigten Staaten von Amerika sich Jahre lang vergeblich bemüht haben, den Gebrauch dieses Begriffs zu beenden“ – ein Hinweis auf einen rechtschaffenen Geist sozialer Verantwortung in den höchsten Ebenen des Militärs, eine überall vorhandene Kultur der politischan Korrektheit, getragen von der Hierarchie, welche, leider, in einigen Fällen in den niederen Rängen zusammenbricht. Was kann man da schon machen? Schluck. Jungens sind halt Jungens. 

Die Fixierung der Medien auf das Individuum Bales – fehlerhaft vielleicht, aber auch herzzerbrechend amerikanisch („Zu Hause fragen sie sich, wie ‚unser Bobby’ zum mutmaßlichen Kriegsverbrecher wurde“ lautete die Schlagzeile in der New York Times) – ignoriert die grundlegende systemische Psychologie, die davon ausgeht, dass niemand in einem Vakuum existiert. Das abweichende Verhalten einer Person nimmt den Druck weg, der sich in dem ganzen System aufbaut. In diesem Fall ist das System die Armee. Könnte da etwas für die Medien herauszufinden sein, mit dem noch mehr anzufangen sein könnte als mit einem Gespräch mit Robert Bales´ Nachbarn in der Kindheit oder dem ehemaligen Schuldirektor?

Könnte zum Beispiel etwas in der Entmenschlichung des Gegners – einem Vorgang, der es Soldaten ermöglicht, gegen ihre eigene Natur zu handeln und Menschen das Leben zu nehmen – liegen, das auch zu ihrer eigenen Entmenschlichung führt?

Inmitten der Flut von Nachrichten über das Massaker in Afghanistan begann ich an die Winter Soldier-Hearings vor vier Jahren zu denken. Da gab es vier Tage lang Zeugenaussagen über den grausam dysfunktionalen Krieg gegen den Terror. Zwei Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit dem Thema „Rassismus und Krieg: die Entmenschlichung des Gegners.“ Ihre Teilnehmer sprachen darüber, wie sie Verachtung und Ekel gegenüber allen Irakern lernten und wie sich das beim Einsatz im Irak manifestierte, wo Robert Bales drei Turnusse diente. 

Hier ein paar hervorstechende Aussagen:

„Ich trat der Armee an meinem 18. Geburtstag bei. Bei meinem Eintritt wurde mir gesagt, dass es beim Militär keinen Rassismus mehr gibt. Nach 9/11 begann ich Bezeichnungen zu hören wie Handtuchkopf, Kamelreiter, Sandnigger. Diese kamen von oben in den Befehlsrängen. Das neue Wort war Hadschi. Ein Hadschi ist jemand, der eine Pilgerreise nach Mekka macht. Wir nahmen das beste Ding des Islam und machten es zum schlechtesten.“ – Mike Prysner

„Hadschi wurde benutzt, um jeden zu entmenschlichen, der nicht einer von uns war. Angestellte, die unsere Wäsche machten, wurden zu Hadschis. Keine Person, kein Name, aber ein Hadschi. ‚Es sind nur Hadschis. Wen kümmert´s?’ Der höchstrangige Offizier, General Casey, benutzte das Wort. Er bezeichnete irakische Menschen als Hadschis. Diese Dinge beginnen an der Spitze, nicht unten.“ – Geoff Millard 

„Das Militär machte Hadschi zu einem Wort, das entmachtete. Mein Vorgesetzter sagte: ‚Der Hadschi ist ein Hindernis. Schaff ihn aus dem Weg.’ Einer Person ihren Namen abzusprechen erlaubte uns, uns von den Menschen im Irak abzutrennen.“ Als einmal ein Bub von einem Lastwagen angefahren wurde, sagte der kommandierende Offizier: „Er ist tot, fahr weiter.“ – Mike Totten

„Einem gerade verhafteten Gefangenen wurde sein Insulin verweigert. Er war ein Hadschi und würde wahrscheinlich nicht sterben, aber wenn er starb, machte das auch nichts. Das sagte der kommandierende Offizier, als er keine Erlaubnis gab, ihn in das Krankenhaus zu bringen. Sein diabetischer Schock wurde für Insubordination gehalten. Sie besprühten ihn mit Pfefferspray und steckten ihn in eine Zelle, wo er starb.“ – Andrew Duffy 

„Es ist nahezu unmöglich, entsprechend deiner Moral zu handeln ... Du nimmst ihnen die Menschlichkeit – schlägst sie – und indem du so handelst, nimmst du dir selbst die Menschlichkeit.“ Carlos Mejia 

Beginnt das das Mysterium zu durchdringen, das die New York Times und den Rest der Massenmedien so irritiert? Die Geschichten über die furchtbare Behandlung von Irakern und Afghanen durch amerikanische Soldaten sind endlos. In den meisten Fällen bewegte sich eine derartige Behandlung sehr wohl innerhalb der befehlsmäßig abgesteckten Ordnung. Verachtung für die Menschen, die wir „befreiten,“ durchzog die Befehlskette. 2003 berichtete die Washington Post, dass ein Computerprogramm des Verteidigungsministeriums zur Berechnung von Kollateralschaden den Namen „Bugsplat“ („Ungeziefer erschlagen“) hatte.

Und die Tante des ehemaligen Gefreiten Steven Green, der wegen Vergewaltigung und Ermordung eines 14-jährigen irakischen Mädchens und Ermordung ihrer Eltern und ihrer 7 Jahre alten Schwester schuldig gesprochen wurde, sagte bei seiner Verurteilung: „Wir haben keinen Vergewaltiger und Mörder in den Irak geschickt.“ 

Die Zeit ist gekommen, das Militär auf der Ebene seiner Existenzgrundlage herauszufordern. Die Zeit ist gekommen, seine Selbsttötungen, seine Kriegsverbrechen und die weiteren schrecklichen Auswirkungen, die seine Existenz hervorbringt gegenzurechnen. Wie lange kann es eine ehrliche Bilanzierung überleben?

 
     
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