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"Europa krümmt sich wie der Wurm, ehe ihn der Stiefel zertritt." - Karl Kraus
"Fuck the EU" - Victoria Nuland
 
     
  Nicht einmal ein Boykott der israelischen Siedlungen reicht aus und kommt zu spät

Jonathan Cook

 

Die Frage, ob illegale Siedlungen im besetzten palästinensischen Territorium unter Strafe gestellt werden sollen, wurde letzte Woche sowohl in Europa als auch in Israel erörtert, wobei nur oberflächliche Unterschiede bei den Schlussfolgerungen erreicht werden konnten. Israels fast ein halbes Jahrhundert alte Besetzung ist nicht unmittelbar gefährdet, weder im eigenen Land noch im Ausland.

Um die 16 europäischen Außenminister schickten einen Brief an die Außenbeauftragte der Europäischen Union Federica Mogherini, in dem sie forderten, dass die EU israelische Produkte aus den Siedlungen klar bezeichnen muss, um Käufer auf deren wirkliche Herkunft aufmerksam zu machen.

Yair Lapid, Israels früherer Finanzminister, der weitgehend als eher gemäßigt angesehen wird, rief verärgert Frau Mogherini an, um sie zu warnen, dass bedeutendere europäische Staaten zu einem „de facto-Boykott Israels“ aufriefen. Er beschrieb den Brief als „einen Schmutzfleck“ auf der EU, und fügte hinzu, dass auf Israels Wirtschaft eine „Katastrophe“ zukommen könnte.

Die EU-Außenminister waren nichtsdestoweniger überzeugt vom Strafcharakter ihres Vorschlags. Eine Kennzeichnung der Güter aus Siedlungen, so schrieben sie, wäre „ein wichtiger Schritt bei der vollen Umsetzung einer lange bestehenden EU-Politik“ und wichtig für die Aufrechterhaltung der Zweistaatenlösung. 

In Wirklichkeit setzt der Brief einfach Europas klägliche und konfuse Politik fort angesichts der wachsenden Anstrengungen Israels, die Okkupation zu verfestigen.

Nach Jahren interner Debatten war nur eine kleine Mehrheit der 27 EU-Staaten fähig, der harmlosesten Maßnahme, die man sich vorstellen kann, zuzustimmen, die sich gegen Produkte richtet, die auf Land und mit Ressourcen produziert werden, die von der besetzten palästinensischen Bevölkerung gestohlen worden sind. 

Herkunftsbezeichnung mag bewussten Konsumenten nützliche Information geben, um gegen Güter aus den Siedlungen vorzugehen, aber auch im unwahrscheinlichen Fall, dass eine signifikante Anzahl von Käufern diesen Weg wählen würde, würde das Israels Wirtschaft kaum anknacksen.

Sogar wenn die EU viel weiter ginge und sich darauf einigte, einen ausgewachsenen Boykott der Siedlungen durchzusetzen – was sie nicht vorhat – hätte das wenig mehr als psychologische Auswirkungen.

Der Grund dafür liegt darin, dass die EU, während sie einerseits über symbolische Gesten gegen die Siedlungen nachdenkt, andererseits aktiv genau den Zustand subventioniert, der seit fast 50 Jahren zur Ausbreitung der Siedlungen geführt hat.

Das macht sie durch ein spezielles Handelsabkommen, das Europa zu Israels größtem Exportmarkt macht, und durch die Überweisung großer jährlicher Summen von Hilfsgeldern an die Palästinenserbehörde, die die Ordnung in den besetzten Territorien im Interesse Israels aufrecht erhält. 

Der dringende Bedarf dafür, dass Europa ein bisschen Rückgrat zeigt, wurde letzte Woche unterstrichen, als Israels oberster Gerichtshof das Problem der Boykotte behandelte. Israelische Menschenrechtsgruppen hatten beim obersten Gerichtshof, der lange als ein einsamer Vorposten der Mäßigung angesehen wurde, die Überprüfung eines Gesetzes beantragt, das vor vier Jahren herausgekommen war. Dieses Gesetz verhängt schwere Sanktionen gegen alle israelischen Bürger oder Organisationen, die zu einem Boykott Israels oder der Siedlungen auffordern.

Das Ziel der israelischen Rechten beim Beschluss dieses Gesetzes war klar: die internen Kritiker der Okkupation zum Schweigen zu bringen, besonders diejenigen, die die wachsenden internationalen Aufrufe unterstützt haben, gegen Israel mit BDS vorzugehen (Boykott, Divestment, Sanktionen). Eine ähnliche Isolierungskampagne wendete seinerzeit das Blatt gegen das Apartheid-Südafrika.

Jedenfalls stellte sich der Gerichtshof mit einer knappen Mehrheit hinter das Gesetz. Einige Richter stellten Forderungen nach Boykott als „politischen Terror“ hin, einer sagte, BDS stehe für „bigott, verlogen, schändlich.“ Beobachter waren überrascht, weil sich der Gerichtshof weigerte, einen Unterschied zwischen einem Boykott gegen Israel bzw. gegen die Siedlungen zu machen. Im Endeffekt segneten die Richter die Okkupation ab, indem sie einen gewaltfreien politischen Protest gegen die Siedlungen mit „Terror“ gleichsetzten.

Lara Friedman von Americans for Peace Now bemerkte, dass der Gerichtshof dadurch Israels „de facto Annektierung” der West Bank kodifiziert hat. Diese Rechtssprechung wird Israelis praktisch davon abhalten, Solidarität mit Palästinensern zu zeigen, die in Unterdrückung leben. Die israelische Zeitung Ha’aretz bemerkte, dass Bemühungen, Theatergruppen und Musiker davon abzuhalten, in der großen Siedlung Ariel im Herzen der West Bank aufzutreten, jetzt mit dem Segen des Gerichtshofs effektiv gesetzlich verboten sind. 

Uri Avnery, Anführer der kleinen israelischen Friedensgruppe Gush Shalom, die seit vielen Jahren die EU erfolglos aufgerufen hat, Produkte aus den Siedlungen zu boykottieren, sagte am Wochenende, dass das Urteil beweist, dass die Richter einfach „Angst haben” vor der wachsenden Macht der Rechten.

Ohne einen Obersten Gerichtshof, der bereit ist, hinter bürgerlichen Rechten wie freie Meinungsäußerung zu stehen, bleibt der Einfluss der israelischen Rechten unangefochten. Der israelische Kommentator Gideon Levy beklagt am Sonntag: „Wir sind dabei, unsere nationalistischste Regierung zu bekommen – und es ist niemand da, der ihre Gesetze stoppt.“

Das Urteil des Gerichts zeigte nur die schändliche Feigheit der EU auf beim Versagen, Israel zu konfrontieren. Es geht darum, dass angesichts der israelischen politischen Institutionen – von der Regierung Benjamin Netanyahus bis zur Rechtsprechung – die mit den Siedlungen gemeinsame Sache machen, Europa seine Stimme finden muss.

Die wenigen Israelis, die bereit sind, aus dem Konsens im Inland auszubrechen und für die Rechte der Palästinenser auf Würde und Gerechtigkeit aufzustehen, brauchen alle Hilfe, die sie bekommen können. Nicht zuletzt benötigen sie die Solidarität europäischer Regierungen, die sich ihnen anschließen sollen bei der Forderung nach harten – nicht minimalen – Strafen gegen Israel.

 
     
  erschienen am 21. April 2015 auf > Jonathan Cooks Website > Artikel  
  Archiv > Artikel von Jonathan Cook auf antikrieg.com  
 
siehe dazu im Archiv:
  Eric Walberg - BDS 2010: mächtiger als das Schwert
  Oded Na'aman - Die Kontrollstelle
  Susan Abulhawa - Die abscheuliche Heuchelei des Westens
  John Kozy - Israel – nur eine weitere unglückselige britische Kolonie
  Eric Margolis - Warum verhandeln, wenn Israel alle Karten hält?
  Mouin Rabbani - Israel mäht den Rasen
  Paul Craig Roberts - Raub und Mord bilden Israels Weg durch Palästina
  Ismael Hossein-zadeh - Das Chaos im Mittleren Osten und darüber hinaus ist geplant
 
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