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  Die Ruinierung Irlands

Ein Interviel mit Michael Hudson über wirtschaftliche Gewalt

Greg McInerney

 

Greg McInerney: Hier ist Greg von MeltingPress.com. Das ist die erste Folge unserer Serie „Alternative Stimmen,“ in der wir mit Leuten sprechen, die uns unterschiedliche Perspektiven in allen Bereichen, von Wirtschaft über Politik bis zur Kultur aufzeigen. Heute haben wir Professor Michael Hudson bei uns. Er ist Professor für Wirtschaftsforschung an der Universität von Missouri in Kansas City. Er ist auch der Autor von „The Bubble and Beyond“ (Die Blase und darüber hinaus), seinem jüngsten Buch, und „Super Imperialism: The Economic Strategy of American Empire“ (Super-Imperialismus: die wirtschaftliche Strategie des amerikanischen Imperiums), das ich selbst gelesen habe und das eine brilliante Lektüre ist. Ich kann es Ihnen nur empfehlen.

Professor Hudson, herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns sind.

Professor Hudson: Ich freue mich, hier zu sein.

G: Professor Hudson, wir sind hier in Irland, einem Land, das sich zur Zeit, wie wir beide wissen, im Zustand des wirtschaftlichen Ruins befindet. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 14%, die Arbeitslosigkeit unter Akademikern ist wahrscheinlich doppelt so hoch. Was ist da alles schiefgelaufen in Irland?

Prof. H: Eure Arbeitslosigkeit ist bewusste Politik der irischen Führung, und zwar beider Parteien. Nichts von dieser Arbeitslosigkeit ist unabdingbar. Das muss nicht so sein. Die Regierung ist darauf hineingefallen, die Schulden ihrer korrupten Banker zu bezahlen.

Das Problem ist, dass sogar als ihr Iren getan habt - was ihr tun hättet sollen – und die herrschende Partei abgewählt habt, die nachfolgende Partei die gleiche Politik verfolgte wie die vorhergehende. Es ist ziemlich gleich wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo wir den Republikaner George Bush abgewählt haben, und dann einen noch viel republikanischeren Demokraten – Barack Obama – bekamen. Sie alle versprechen Änderung und folgen dann den Anweisungen des Finanzsektors.

Das dem zugrunde liegende Problem ist, dass es niemanden aus Wissenschaft oder Politik in Irland gibt, der aufzeigt, dass es eine Alternative zu dieser Arbeitslosigkeit gibt. Es gibt einen Glauben, einen thatcheristischen Glauben, dass es keine Alternative gibt, aber natürlich gibt es eine Alternative! Ihr hättet nicht unversicherte Inhaber von Bankdepots und Wertpapieren ausbezahlen sollen, und ihr solltet nicht die Europäische Zentralbank, den IWF oder andere bezahlen müssen, die euch falsch informiert haben, indem sie euren Anführern sagten, dass die Kosten von Freikäufen durch die Regierung leicht gehandhabt werden können, und nicht zu einem verlorenen Jahrzehnt und in eine wirtschaftliche Katastrophe führen würden.  

Ihr solltet als rechtliches Grundprinzip des Internationalen Rechts festlegen, dass kein Land verpflichtet werden kann, Auslandsschulden auf Kosten der Vertreibung von 10-20% seiner Bevölkerung, einer Sparpolitik und des wirtschaftlichen Selbstmords zu bezahlen.

Nationalstaaten sollen keinen Selbstmord begehen. Aber das ist es, was Irland macht.

G: Richtig, und Irland war seit wahrscheinlich einigen Jahrzehnten wirklich das Musterbeispiel für neoliberale Wirtschaftstheorie in Europa. Könnten Sie dazu etwas sagen? Über die Politik der niedrigen Körperschaftssteuern, die die multinationalen Konzerne anzog?

Prof. H: Musterbeispiel? Ich dachte immer, Lettland sei das Musterbeispiel.

G: Haha! Es gibt einige.

Prof. H: Schauen Sie, kriminelles Verhalten ist der wirkliche gemeinsame Nenner. Das gilt ziemlich überall. Die niedrige Körperschaftssteuer war einfach ein Versuch, aus Irland ein weiteres Hongkong zu machen, ein internationales Bankzentrum, wo die Konzerne ihr Geld parken.

Das hätte wahrscheinlich besser funktioniert, wenn ihr das getan hättet, was Hongkong tat. Dieses benützte sein Geld, um ein riesiges Kapitalinvestment in Immobilien zu finanzieren und verdiente Geld damit. Irland zog ausländisches Kapital an, indem es eine Steuervergünstigung gewährte und indem es Finanzmanagern (hauptsächlich aus London) sehr hohe Ertragsraten für „heißes Geld“ anbot, um ihr Geld in ein paar aufstrebende Banken zu stecken.

Aber was machte Irland mit diesem Zustrom von Geld? Es gab es weiter an Gauner! Und ließ diese es stehlen. Was dann wirklich das Problem verursachte war, dass statt die Spekulanten, unversicherten Inhaber von Bankdepots und Wertpapieren den Verlust hinnehmen zu lassen – wegen dieses hohen Risikos wurden ja dermaßen hohe Renditen mit solch niedrigen Steuern ausbezahlt – die Politiker Irlands den I.W.F. und die Europäische Zentralbank ins Land kommen und sagen ließen: „Na gut, sie sind ein Risiko eingegangen, aber lasst sie nicht dafür bezahlen. Macht, dass die Steuerzahler den Verlust tragen!“ 

Die Iren stimmten dem zu. „Lieber sind wir arm, als dass wir die Reichen das Geld verlieren lassen, weil die Reichen unsere Arbeitsplätze schaffen.“ Leider sind sie eure Schaffer von Arbeitsplätzen in Amerika, in Deutschland und in den anderen Ländern, in die ihr auswandert.

G: Richtig, und um auf einen Punkt zurückzukommen, den Sie gemacht haben, wir hatten speziell in Irland auch ein anderes Problem: die Immobilienblase, die im Lauf der letzten zwanzig oder so Jahre stattfand. Ist das etwas, das unumgänglich ist, oder ist sie das Ergebnis der niedrigen Körperschaftssteuer und neoliberalen Politik, aufgrund der die Anlagenpreise in dieser Weise aufgeblasen werden müssen, um die Einkünfte zu kompensieren?

Prof H: Die Immobilienblase hat mit der Körperschaftssteuer nichts zu tun. Sie hängt zusammen mit dem Fehlen einer Bodenwertzuwachssteuer auf Immobilien. Wenn der Wert des Bodens besteuert wäre, hättet ihr nicht all dieses freie Einkommen aus Mieten und die Aussichten auf Kapitalgewinn gehabt. Henry George schrieb darüber 1881 in The Irish Land Question (Die irische Landfrage). Großartiges Buch, lesen Sie nur Henry George und The Land Question und Sie erfahren alles, was Sie darüber wissen müssen, warum Irland die Besteuerung von Grund und Boden haben sollte, anstatt die Pacht- und Mietteinnahmen den Banken zu überlassen – welche sie an Gauner weiterverliehen haben, die sie dann gestohlen haben.

G: Wie Sie sagten, wurde die Bodenwertzuwachssteuer, die eine sehr interessante Politik ist, der neuen Regierung Fine Gael vorgeschlagen, die danach kam. Aber anstatt eine Bodenwertzuwachssteuer einzuführen, führten sie eine pauschale Vermögenssteuer ein, welche regressiv ist und keinerlei Unterschied bewirkt hat. Als Ergebnis sehen wir, dass sich zur Zeit eine weitere Immobilienblase entwickeln könnte, wie wir das im Vereinigten Königreich sehen.

Prof. H: Im Vereinigten Königreich betrifft es hauptsächlich London. Die Immobilienblase in London ist anders. Das ist Fluchtkapital, das in Besitz in London angelegt wird. Ich höre, dass 80% des Immobilienbesitzes im Zentrum von London unbelastet ist durch Hypotheken, der Immobilienpreis in London wird also nicht durch Kredite in die Höhe getrieben. Er ist in keiner Weise durch Schulden belastet. Die meisten Käufer, die russischen Kleptokraten und die Unternehmer aus Hongkong oder China zahlen alle bar für ihre Apartments. Sie können daher die steigenden Immobilienpreise in Irland nicht vergleichen mit den steigenden Immobilienpreisen in Britannien.

Außerhalb Londons wird die Wirtschaft in eine Depression getrieben durch die Entscheidung, dass Britannien keine Produktion braucht. Alles was es scheinbar benötigt sind Bankers. Wer braucht da etwas herzustellen, solange sie Geld von den Iren stehlen können?

G: Wir alle wissen, dass Sie ein unabhängiger Wirtschaftswissenschaftler sind, Sie bieten eine unterschiedliche Betrachtungsweise. Etwas, das wirklich ins Auge fiel in der Zeit der keltischen Tiger, war dass die gesamte Berufsgruppe der Wirtschaftswissenschaftler zur Gänze diese lächerlich fehlerhaften neoklassischen Modelle übernahm. Können Sie etwas darüber sagen, welche Rolle die Berufsgruppe der Wirtschaftswissenschaftler bei der Entstehung von all dem gespielt hat? 

Prof. H: Die sind indoktriniert. Es gibt zwei Methoden, wie die Chicago School of Economics neoliberale Therien durchsetzte. Sie gingen nach Chile unter dem Pinochetregime und sperrten jede Wirtschaftsabteilung in dem Land zu, die nicht ihre Theorien der Chicagoer Schule unterrichtete. Sie brachten Arbeiterführer um, sie brachten Wirtschaftswissenschaftler und Professoren um und betrieben eine Terrorismuskampagne , die Operation Condor, die Zehntausende von Intellektuellen umbrachte. Das brauchten sie in Irland oder Amerika nicht zu tun.

In Amerika brachten sie die maßgeblichen Wirtschafts-Fachzeitschriften unter ihre Kontrolle. Das bedeutet in den Vereinigten Staaten von Amerika – und wahrscheinlich auch in Irland und Europa - , dass wenn man mit dem Doktortitel graduiert und in die Lehre gehen will, man dadurch gefördert werden muss, dass man in einem maßgeblichen Fachjournal publiziert wird. Die Beurteiler jedoch sind Chicago Boys oder Neoliberale aus Harvard. Bei diesen handelt es sich ideologisch umTotalitäre. Die Vertreter des freien Marktes haben kapiert, dass man keinen freien Markt haben kann, ohne die völlige totalitäre Kontrolle auszuüben. Das haben sie erreicht.

Das Ziel der totalitären Kontrolle ist es sicherzustellen, dass es keine Alternative gibt. Als ich an der New Yorker Universität graduierte, wurde mir – von einem Professor, der für die CIA arbeitete – gesagt, dass es nicht dafürstehe, die Geschichte des wirtschaftlichen Denkens zu studieren, denn wenn Wirtschaftstheorien gut wären, dann hätten sie nach dem Prinzip, dass der Stärkste überlebt, Erfolg gehabt. Wenn sie also nicht gelehrt werden, dann deshalb, weil sie veraltet und obsolet sind. Also strich man in den Vereinigten Staaten von Amerika die Geschichte der Wirtschaftstheorien aus dem akademischen Curriculum. Sie strichen sogar Wirtschaftsgeschichte. Sie lernen also nicht, was vor 50 Jahren gelehrt wurde, als ich noch zur Schule ging: die Geschichte der Theorien von Zinsen, Preis und Wert.

Das gesamte Gebäude der Analyse des Unterschieds zwischen verdientem und unverdientem Einkommen, wirtschaftlichem Zins und Profit – all das wurde aus dem Studienplan gestrichen und scheint in den wirtschaftlichen Fachjournalen nicht auf. Was man also wirklich in der akademischen Wirtschaftslehre mitkriegt, ist Schund. Ich glaube Sie hatten Steve Keen in Ihrer Sendung, der hat das Buch Debunking Economics (Die Aufdeckung der Wirtschaftswissenschaft) geschrieben, in dem viel davon erklärt wird. Ich habe ähnliches über die Theorie des internationalen Handels geschrieben.

G: Es ist interessant, dass Sie Lateinamerika erwähnen. In den letzten 20 Jahren oder so haben wir eine starke Gegenreaktion gegen die, wie Sie sagten, extrem gewalttätigen neoliberalen Projekte erlebt, die dort eingeführt worden waren. Glauben Sie, dass es möglich ist, dass durch ähnliche Bewegungen an der Basis hier in Europa ähnliche Dinge stattfinden können?

Prof. H: Wenn Sie vor kurzem die Zeitungen gelesen haben, sind die Vereinigten Staaten von Amerika gerade in die Ukraine vorgerückt und haben dort Killerkommandos, die ukrainische Richter und politische Führer ermorden, die nicht dabei mitmachen wollen, die Ukraine auf einen neoliberalen proeuropäischen Kurs zu bringen, der ganz anders ist als der russische. Ja, sie töten nur, wenn sie tatsächlich müssen, und wenn ihnen die Leute zuhören.

Ich denke nicht, dass in Irland jemand auf sie hört und ich höre dort keine Diskussionen, daher glaube ich nicht, dass es dort einen Bedarf an Gewalt gibt, weil es dort einen Herdeninstinkt gibt, wie Sie sagen, mit dem Stockholm-Syndrom. Man hat die Ansichten seiner Unterdrücker übernommen, als wenn sie irgendwie nett mit einem sein werden, wenn man ihnen nur mehr Geld gibt. Vielleicht müssen noch weitere 60% eurer Bevölkerung auswandern, bis ihr draufkommt, dass es eine Alternative geben könnte.

G: In der Tat. Ich denke, was zur Zeit an Europa wirklich interessant ist, ist das, wovon Sie gesprochen haben: Fehler im freien Markt. Die Eurozone, die Art und Weise, wie sie das System der Zentralbank und der Steuerharmonisierung eingeführt haben – das war sicher zum Scheitern bestimmt von der Minute an, in der sie das ausgedacht haben? 

Prof. H: Haha! Natürlich war es das! Es war also in keiner Weise ein Scheitern – es war ein Erfolg! Der Erfolg ist die Verarmung der Arbeiterklasse. Die Eurozone ist eine im Wesen gegen die Arbeiter gerichtete Kriegszone, und die Banken gewinnen den Klassenkampf. Warum bezeichnen Sie das als Scheitern? Die Löhne wurden um 30% reduziert, es herrscht Massenarbeitslosigkeit, Pensionen wurden beseitigt, Arbeiter wurden in die Armut getrieben.

Das ist kein Scheitern. Es ist ein Sieg, wenn du ein Banker und ein Finanzier bist und zum „1%“ gehörst. Das ist der Sieg des „1%“ über die „99%.“ Das ist so, als würde man sagen, dass der Zweite Weltkrieg ein Scheitern war, weil die Deutschen nicht gesiegt haben! Aber wenn du zu den Alliierten gehörtest, hast du gesiegt. Und so hat Amerika Europa wieder aufgebaut.

G: Sie haben völlig recht. Können Sie den Hörern erklären, wir alle wissen, wie sichtbar die Finanzlobby in den Vereinigten Staaten von Amerika ist. Ich meine, es liegt völlig offen, dass die Politiker dort gekauft sind, aber in Europa wird es mehr verschleiert gesehen. Wie funktioniert das Lobbying in Europa?

Prof. H: Weitgehend durch das Bildungssystem. Ich habe Leute in Lettland, Island und anderen Ländern getroffen, die ehrlich an die neoliberale Linie glauben, weil das die einzige Wirtschaftslehre ist, mit der sie zu tun hatten. Die Neoliberalen verstehen, dass die Methode, mit der man sicherstellt, dass es keine Alternative gibt, darin besteht sicherzustellen, dass die Menschen nicht wissen, dass es eine gibt. Was ihr habt, ist Schund-Geschichte, die Schund-Wirtschaftslehre lehrt, so dass Leute glauben, dass die Welt immer schon so war und dass es keinen anderen Weg gibt, um die Dinge zu tun. Natürlich ist das verrückt – aber das ist, was passiert.

G: Können Sie uns sagen, wie besonders der Euro, die Einheitswährung, die Fähigkeit der Länder eingeschränkt hat, sich ihren Weg aus der Krise zu graben.

Prof. H: Vergleichen wir, wie die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Bankenrettungsaktion nach 2008 betrieben, und wie Europa es machte.

In den Vereinigten Staaten von Amerika haben sie keine Steuern erhöht und sie haben nichts vom Ausland geborgt. Die Federal Reserve schuf einfach vier Billionen Dollars Kredit auf elektronischem Weg. Das ist es, was eine Zentralbank tun sollte. Sie ist dafür da, das Geld zu schaffen, um die Defizite bei den Regierungsausgaben zu monetarisieren und zu finanzieren.

Die Eurozone verbietet das auf zwei Arten, und das ist es, was der Deutsche Bundesgerichtshof in Karlsruhe letzte Woche urteilte. Die europäische Verfassung verbietet der Europäischen Zentralbank, Geld an Regierungen zu verleihen. Sie wird nicht die Schuld monetarisieren, die sich aus der Finanzierung durch Staatsverschuldung ergibt – obwohl sie das Geld schaffen wird, um Inhaber von Wertpapieren und Spekulanten auszuzahlen. Sie ist da, um das 1% reicher zu machen, nicht die 99% - und noch schlimmer, sie geht davon aus, dass der Hauptweg zur Bereicherung des 1% über die Verarmung der 99% führt. Deshalb ist sie so dysfunktional und ausgesprochen bösartig.

Anstatt also das Geld zu schaffen, das die Europäische Zentralbank den Gaunern gibt – wie es die Angloamerikaner machen – lässt sie tatsächlich die Steuerzahler die Gauner bezahlen. Das ist völlig unnötig. Man könnte einfach Geld schaffen und den Gaunern alles geben, was sie wollen, ohne die Situation zu verschlimmern durch die Besteuerung von Arbeit und Industrie, und damit die Wirtschaft an die Wand zu fahren. Aber die Eurozone steuert absichtlich darauf hin, die Wirtschaft zu ruinieren, um die Löhne herunterstufen zu können. Sie glaubt, dass alles, was von der Arbeiterschaft genommen wird, vom Finanzsektor an sich gerissen werden kann. Da gibt es kein Konzept der Symbiose, und ohne einen heimischen Markt müssen die Schulden unweigerlich zum Problem werden.

Die Eurozone weigert sich, eine Zentralbank die Regierungsausgaben finanzieren zu lassen. Nur kommerzielle Banken und Wertpapierbesitzer können das – und die verlangen Zinsen. Die Zentralbank einzuschränken schafft daher einen gewaltigen Transfer von Zinsen an die kommerziellen Banken. Wenn dann die Regierungen nicht zahlen können, geht es auf Stufe zwei. Da müssen die Regierungen dann zahlen, indem sie den öffentlichen Besitz verkaufen: Grund und Boden und natürliche Ressourcen, die Wälder, Häfen, Stromversorgungssysteme, natürliche Monopole, grundlegende Infrastruktur, Straßen und Brücken. Die Wirtschaft wird umgewandelt in eine Mautstellen-Wirtschaft. So geht ihr zurück in den Feudalismus. Irland ist auf dem Weg zurück in das 14. Jahrhundert, und das schnell.

G: Ich denke es ist auch sehr interessant, dass wir eine Spaltung innerhalb des Kapitalismus gesehen haben. Da gibt es den traditionellen Kapitalismus mit Arbeitern und Fabriksbesitzern, aber was wir jetzt gesehen haben, ist der Aufstieg einer finanziellen Klasse, die sogar für die traditionellen Kapitalisten schädlich ist. 

Prof. H: Das stimmt. Wenn man bei den Autoren des 19. Jahrhunderts nachsieht, dann gingen alle, von Marx bis zu den Professoren der Wirtschaftsuniversitäten davon aus, dass es die Bestimmung des Industriekapitalismus sei, das Geld aus der mittelalterlichen in die moderne Periode hinüberzubringen. Es herrschte die Vorstellung, dass die Banken dem Industriesystem dienen sollten. Das ist es, was die Saint Simonians in Frankreich befürworteten. Sie waren die Idealisten des 19. Jahrhunderts. Sie entwickelten die Idee des Investment Bankings, das die Reichsbank und die großen deutschen Banken äußerst effektiv umsetzten. Das ist auch das, was Japan nach dem Zweiten Weltkrieg machte, einfach weil sie keine andere Geldquelle hatten außer ihrer Fähigkeit, ihre eigenen Kredite zu schaffen durch Industriebanken.

Niemand erwartete, dass der Finanzkapitalismus die Oberhand gewinnen und letztlich den Industriekapitalismus abdrosseln wird. Aber das ist es, was passiert.

Alle die Futuristen, sogar Sozialisten waren optimistisch bezüglich des Kapitalismus. Sie dachten, dieser werde auf natürliche Weise in Sozialismus übergehen, mit einer zunehmenden Rolle der Regierung in der Wirtschaft, um Infrastruktur einschließlich des Bankwesens bereitzustellen. Stattdessen haben wir Regierungen, die zerstückelt werden. Das ist es, was Neoliberalismus ist. In Wirklichkeit ist es Neofeudalismus. Es ist ein Abbau von Demokratie zugunsten einer Finanzoligarchie, eine Herrschaft durch die Bestellung von Statthaltern und Technokraten, wie ihr sie in Italien unter Monti oder in Griechenland unter Papademos habt. Ihr habt eine Wiederholung der Geschichte und der Aufklärung. Wenn eure Studienordnung, eure Religion und die populäre Presse nicht einmal über die Aufklärung und über die Geschichte der wirtschaftlichen Theorie spricht, werdet ihr nicht realisieren, dass das, was geschieht, eine Wiederholung der vergangenen 500 Jahre ist.

G: Es hat die Demokratie wirklich völlig überflüssig gemacht. Was den größten Teil betrifft, da werden die Menschen nicht imstande sein, sich aus diesem herauszuwählen, nicht wahr?

Prof. H: Na gut, in Amerika kann man wählen, Man kann Ja wählen, ja bitte und ja danke. Die Frage ist, was man denn wählen will. In Irland sind beide Parteien der gemeinsamen Auffassung, dass man die Gauner auszahlen soll und dass man die Wirtschaft opfern muss, um diese Schulden zu bezahlen, die die Wirtschaft kaputt machen. Solange es keine alternative Partei gibt wie in Griechenland mit seiner linken Syriza-Partei, oder in Lettland mit dem Harmony Centre, wird es keine Alternative geben, außer vielleicht chinesisch zu lernen und auszuwandern.

G: Wenn eine Alternative daherkäme, Professor Hudson, was wäre Ihre Vorstellung über den Plan einer Wirtschaftspolitik? Würden Sie aus dem Euro aussteigen? Würden Sie eine neue Währung einführen?

Prof H: Solange die Eurozone keine Zentralbank hat, ist das keine wirkliche Integration. Der einzige Weg zu Vereinigten Staaten von Europa führt über eine gemeinsame Steuerpolitik und eine gemeinsame Geldpolitik. Sie erinnern sich, worum es bei der amerikanischen Revolution ging: „Keine Besteuerung ohne Darstellung.“ Derzeit ist das in Europa nicht der Fall. Solange es keine wirkliche politische Integration gibt, und ich sehe keine, solange ist die Eurozone jetzt nicht die friedliche sozialistische/soziale demokratische Idee, die sie vor 50 Jahren war. Das ist ein gegen die Arbeiterschaft gerichteter Klassenkampf zugunsten der Finanzklasse. Es besteht keine Möglichkeit, in dieser Art von Europa zu bleiben. Es scheint keine Diskussion darüber zu geben, dass es eine andere Art von Europa gibt, die Art Europa, die in den 1940ern und 1950ern gemeint war.

G: Die europäischen politischen Klassen sind interessant. Sie arbeiten wirklich hart daran, die einigende Natur Europas zu betonen, aber was sie nicht mitbekommen, ist dass sie die selben Bedingungen schaffen wie nach dem Ersten Weltkrieg, die zum Zweiten Weltkrieg führten. Wir alle wissen, was passiert, wenn der Kapitalismus scheitert, und das ist nicht schön.

Prof. H: Ja das passiert dann, und es gibt die rechtsextremen Parteien in ganz Europa, und man sieht, wie die Vereinigten Staaten von Amerika die neofaschistischen Parteien in der Ukraine, in den baltischen Staaten und an der Peripherie der ehemaligen Sowjetunion fördern.

G: Was ist der Standpunkt der Vereinigten Staaten von Amerika zu Europa, wir haben gesehen, dass einmal …

Prof. H: Dieses Europa ist eine tote Zone. Sie ignorieren Europa. Denken Sie daran, wie Donald Rumsfeld, der Verteidigungsminister, verächtlich vom „Alten Europa“ sprach. So wird es gesehen. Europa schrumpft, seine Bevölkerung wandert aus, also spielt es keine Rolle. Seine Führer sind amerikanische Hampelmänner, die ignoriert werden können. Es hat keine Rolle in der Welt zu spielen, außer wie Japan zu sein, ein Anhängsel der Einkreisung Eurasiens durch NATO und Militär der Vereinigten Staaten von Amerika.

G: Glauben Sie, dass die Vereinigten Staaten von Amerika aktiv beigetragen haben zum Niedergang Europas, wie sie das vielleicht mit Japan und anderen Rivalen gemacht haben?

Prof. H: Vor 30 Jahren sagte man mir, dass nahezu alle Reisekosten für Mitglieder der Sozialistischen Internationale – deren erster Leiter der griechische neoliberale Premierminister Andreas Papandreaou viele Jahre lang war – von der CIA bezahlt worden sind. Jetzt sehen wir endlich die Winkelzüge, die diese Art von europäischen Führern in ihre Positionen gebracht haben, von Deutschland bis England. Sie sind sehr pro-amerikanisch. Man kann aus den in der vergangenen Woche durchgesickerten Telefonaten erkennen, wie die Vereinigten Staaten von Amerika manövrieren, um proamerikanische Hampelmänner in der Ukraine zu etablieren, nicht anders als sie in Russland manövriert haben, um Jelzin an die Macht zu bringen.

G: Denken Sie, dass die Stufen der Ungleichheit die Vereinigten Staaten von Amerika übertreffen werden? Die, wie wir wissen, eine der ungleichsten Gesellschaften in der westlichen Welt sind.

Prof. H: Es ist ein Rennen zum Tiefpunkt. Schwer zu sagen. Es wird ein hartes Rennen sein.

G: Sie haben ausführlich über die Vereinigten Staaten von Amerika geschrieben, und es ist komisch, dass die Vereinigten Staaten von Amerika das erste Weltreich sein könnten, das wirklich nie als solches von den dort lebenden Menschen bezeichnet worden ist. Wie haben die Vereinigten Staaten von Amerika es geschafft, vor den meisten ihrer Bürger die Tatsache zu verschleiern, dass sie die größte globale Supermacht sind?

Prof. H: Die Menschen verstehen nichts von Zahlungsbilanz und der Natur des Geldsystems. Sie verstehen nicht, dass der internationale Dollarstandard dem Wesen nach bedeutet, dass Amerikas Zahlungsbilanzdefizit – welches seit vielen Jahrzehnten fast zur Gänze militärischer Natur ist – die Grundlage bildet für die Geldreserven von ausländischen Zentralbanken. Die Geldreserven der Welt bestehen also aus Darlehen zur Finanzierung des amerikanischen Militärs, das den Rest der Welt umrundet. Die Menschen sehen nicht, wofür diese Reserven der Zentralbanken benützt werden. Wenn sie Schatzscheine der Vereinigten Staaten von Amerika besitzen, woher kommt der Defizit? Woraus resultieren die Zahlungsbilanz und das Budgetdefizit? Diese Art von Analyse wird dort einfach einfach nicht breit publiziert. 

G: Was wir auch gesehen haben ist die Umwandlung der Medien in den Vereinigten Staaten von Amerika in Kapitalgesellschaften. Ich verbrachte die letzten zwei oder drei Jahre dort zum Studium, und die Ausmaße der Desinformation sind wirklich erstaunlich, die als Nachrichten verbreitet wird. Und natürlich sind Nachrichten in der Hand massiver Konzerne und völlig unter Kontrolle durch die selben Leute, über die wir sprechen. 

Prof. H: Glücklicherweise ist das Internet eine Alternative. Naked Capitalism und CounterPunch sind meine Lieblingsseiten. Man kriegt eine dermaßen einseitige Sichtweise in den Massenmedien. Das Nation-Magazin dieser Woche hat einen Artikel von Stephen Cohen über die Desinformation über Russland – all die antirussische Propaganda, die man von New York Times und Washington Post bekommt. Die anscheinend objektive Presse ist in Wirklichkeit überhaupt nicht objektiv.

G: Es hat sich so weit nach Rechts verlagert, dass Leute in Ihrem Beruf, jemand wie Paul Krugman, der vor rund 30 Jahren als eine zemlich moderate Stimme betrachtet worden wäre, vielleicht sogar eine Mitte-Rechts republikanische Stimme sein könnte. Sie würden seine sehr gemütliche liberale Wirtschaftspolitik nicht einmal in die Tat umsetzen.

Prof. H: Es gibt eine Variante des Keynesianismus, aber das ist nur Keynesianismus für das “1%”.

G: Gibt es jemanden, den Sie sehen, offenbar sind ja Sie selbst, vielleicht Leute wie Richard Wolff und David Harvey. Wer sonst in der Berufsgruppe der Wirtschaftswissenschaft sagt Ihrer Ansicht nach noch die Wahrheit?

Prof. H: Die Sie genannt haben auf jeden Fall. Kürzlich war ich zum Abendessen mit David Harvey. Steve Keen, Dirk Bezemer in Holland, Yanis Varoufakis, der über Griechenland schreibt, und Michael Perelman hier in den Vereinigten Staaten von Amerika. Keiner von uns wird finanziert von einer Organisation, die einen alternativen Bericht über nationales Einkommen, Bank- oder Finanzberichte herausgibt. Und wir können unsere Leben nicht als Locher verbringen. Wir dachten, dass unter den Kreditnehmern ein Eigeninteresse besteht, unsere Analyse zu stützen, wie Keynes’ Analyse in den 1920ern gestützt wurde. Aber das ist nicht der Fall. Es scheint ein dermaßen niedergeschlagenes, depressives Gefühl unter den Schuldnern zu herrschen, dass wir wenig tun können, außer mit Leuten wie Ihnen und von anderen Websites zu sprechen und unsere Bücher zu schreiben.

G: Bevor wir Sie gehen lassen, Professor Hudson, welche Zukunft wird Europa Ihrer Ansicht nach in den nächsten fünf oder zehn Jahren haben? Wird es zusammenbrechen oder weitermachen auf Kosten seiner Bürger?

Prof. H: Es wird einen langsamen Absturz geben. Es wird schrumpfen und schrumpfen und schrumpfen. Es würde nur zusammenkrachen, wenn die Menschen sähen, dass es eine Alternative gibt. Wenn es eine (Alternative) gäbe, würde das Bankensystem damit drohen, zuzusperren und eine Krise zu verursachen und die Bargeldautomaten zu schließen und Kreditkarten zu stoppen. Sie würden eine Krise veranstalten um zu sagen: „ihr braucht uns.“ Das ist, was die Regierungen mit sich geschehen lassen haben, nämlich dass das Banken- und Finanzsystem sie im Würgegriff hat. Es ist keine Frage, dass Europa willens sein muss, sich gegen diese Konterrevolution oder Gegenaufklärung zu wehren. Man könnte sagen, dass die einzige Möglichkeit, das zu tun, in einer breiten Volksbewegung besteht.

Es ist fast wie das, was in Amerika als ein Großes Erwachen bezeichnet wurde, große moralische Wellen eines neuen Verständnisses, das man in der progressiven Ära der 1890er und neuerlich in den 1930ern hatte. Es scheint noch nicht so weit gekommen zu sein. Die Europäer sind so entmutigt.

Unter Unterdrückern gibt es ein grundlegendes Motto: Du weißt nicht, wann die Menschen zu kämpfen beginnen werden, bis sie das wirklich tun. So ziehen sie einfach die Schrauben an und ziehen die Schrauben an. Lettland war ein grausames Beispiel, um zu sehen, wie weit man den Lebensstandard reduzieren konnte. Es scheint da keine Grenze zu geben.

G: Ich denke, dass vielleicht die Teilung zwischen Finanzkapitalismus und Industriekapitalismus, die wir davor diskutiert haben, Teil des Problems ist. In früheren Revolutionen und Bewegungen war es leicht, das Unrecht an den Arbeitern zu identifizieren, die nicht bezahlt wurden, während die Unternehmer zu viel Profite nahmen, aber der zwielichtige Bankensektor ist für den einfachen Arbeiter nicht durchschaubar. Wie sollen wir diese Sache niederreißen, wenn die Menschen nicht einmal wissen, dass es sie gibt?

Prof. H: Da gibt es ein Gefühl, dass Leute reich werden können, indem sie sich verschulden, und dass man durch den wirksamen Einsatz von Schulden reich wird. Das funktioniert, wenn man eine Milliarde Dollars borgen und damit den Markt überschwemmen und zu einem Monopol werden und Politiker und Richter kaufen kann. Aber wenn man weniger als eine Milliarde Dollars hat, wird einem Borgen von Geld und Einsatz von Schulden nicht helfen, reich zu werden. Es bringt einen nur in die Leibeigenschaft. Die Iren sollten sich also mit der gesamten irischen Geschichte und mit der anderer Regionen wie etwa dem Ottomanischen Reich im späten 19. Jahrhundert befassen und sich den Ruin Ägyptens und den Ruin Persiens anschauen. Im 19. Jahrhundert wurde über diese regelmäßig gesprochen. All das hat sich schon früher ereignet. Es ist nicht neu. Alles was sie zu tun haben, ist in die Geschichte zu schauen und zu fragen, ob sie diesen Weg gehen wollen, oder ob es eine Alternative gibt?

G: Das war Michael Hudson. Bitte besuchen Sie seine Website www.michael-hudson.com. Es gibt von ihm zwei brilliante Bücher und ich schlage vor, dass Sie diese lesen. Herzlichen Dank, Professor Hudson, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben. 

 
     
  erschienen am 17. Februar 2014 auf > meltingpress.com > Artikel  
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