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  Stasi trifft Steve Jobs

Eric S. Margolis

 

„Gentlemen lesen nicht die Post anderer Gentlemen,“ schnauzte der Aussenminister der Vereinigten Staaten von Amerika Henry Stimson 1929, als man ihm sagte, dass amerikanische Entschlüssler Japans Marine- und diplomatische Codes geknackt hatten. 

Stimson, der später dem Kriegsministerium vorstand, befahl das Code-Entschlüsseln einzustellen.

Heute gibt es keine Gentlemen der alten Schule mehr in Washington. Enthüllungen über elektronische Bespitzelung der Vereinigten Staaten von Amerika durch den Whistleblower Edward Snowden haben einen Sturm der Entrüstung in Lateinamerika und jetzt in Europa entfacht.

Die Erregung dieser Woche wurde verstärkt durch Behauptungen, dass die National Security Agency (Nationale Sicherheitsbehörde) der Vereinigten Staaten von Amerika (NSA) sich auch in das Handy der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Europas wichtigster und einflussreichster Führerin eingeklinkt hatte. Weitere Erregung gab es in Frankreich nach Berichten, dass die grossen Ohren der NSA bei seinen Führern und Diplomaten mitlauschten.

Niemand war überrascht, dass Präsident Obama offiziell bestritt, Merkels Anrufe abzuhören. Eine Quelle in den Vereinigten Staaten von Amerika versuchte den Schaden dadurch zu mindern, dass sie behauptete, die NSA hätte nur ihr Bürotelefon, nicht aber ihr Handy abgehört. Der deutsche Ärger wurde dadurch nicht besänftigt. 

In früheren Zeiten pflegten französische Innenminister – besonders Nicolas Sarkozy – sich spät abends die Abhörprotokolle über die diversen Sünden ihrer Kollegen zu Gemüte zu führen. Das war sehr lustig. Im Gegensatz dazu sammeln NSA und CIA die gesamte Kommunikation angeblicher Alliierter als Teil des ausser Kontrolle geratenen nationalen Sicherheitsstaates Vereinigte Staaten von Amerika. Nennen wir es: die Stasi trifft Apples kürzlich verstorbenen Steve Jobs.

Allein im letzten Monat durchsiebte die NSA laut Berichten 70 Millionen französische Telefonate, Texte und e-mails unter dem lahmen Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus. Was die NSA wirklich gefunden hat, waren die Telefonnummern der Freundinnen und Freunde prominenter Franzosen – sehr nützlich für Erpressungsoperationen der CIA – und wichtige Wirtschaftsinformationen. Terrorismus ist ein Ablenkmanöver. Das blindwütige Schnüffeln der NSA angeblich zur Bekämpfung des „Terrorismus“ macht wieder viele Amerikaner misstrauisch in Hinblick auf die Ereignisse des 9/11, welche die Explosion des amerikanischen Bespitzelungsstaates, restriktiver Gesetze und von Kriegen im Ausland ausgelöst haben.

Immer noch fragt man sich, ob Präsident Obama wusste, was seine Spione taten. Er hat wenig Kontrolle über das Pentagon und wahrscheinlich noch weniger über Amerikas Mammut-, noch immer wachsenden vom vorhergehenden Präsidenten George W. Bush aufgebauten Schnüffelstaat, der über $80 Milliarden im Jahr verschlingt. Rund 4,8 Millionen Amerikaner haben zur Zeit die Zugangsberechtigung zu geheimen Daten und arbeiten für den krakenhaften nationalen Sicherheitsstaat.

Obama wäre nicht der erste Präsident, der nicht weiss, was seine Spione im Schilde führen. Er sollte es dieses Mal allerdings gewusst haben. Die Führer von Amerikas engsten europäischen und lateinamerikanischen Alliierten abzuhören war ein unglaublich dummer Streich. Nichts, was man dadurch hätte erfahren können, hätte den dadurch verursachten Schaden aufwägen können. 

Die elektronische Bespitzelung durch die Vereinigten Staaten von Amerika hat europäische und lateinamerikanische Führer gedemütigt und liess sie und die NATO aussehen wie amerikanische Vasallen, die abgetan und verachtet werden.

Wie können Europas Führer vor ihre eigenen Wähler treten nach dieser beschämenden Episode? Enthüllungen durch Snowden und den Gefreiten Bradley (jetzt Chelsea) Manning zeigen, dass Washington seine NATO-Alliierten auf die gleiche herrische Art behandelt wie die alte Sowjetunion den Warschauer Pakt herumkommandierte.

Europas Führer stehen unter zunehmendem Druck, ihre Unabhängigkeit von Onkel Sam dadurch zu demonstrieren, dass sie die eine oder andere strikte Vergeltungsaktion gegen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika setzen.

Ein Beginn wäre der Aufbau einer völlig neuen Kommunikationsstruktur für Westeuropa, die undurchlässig ist für die Vereinigten Staaten von Amerika, und die Schaffung einer wirklich unabhängigen europäischen Militärmacht. Es ist Zeit für Europa damit aufzuhören, Fusssoldaten für Amerikas Atomritter zu spielen.

Der Ruf der Vereinigten Staaten von Amerika in Europa und Lateinamerika ist so tief gesunken wie noch nie. Die nächsten NSA-Bespitzelungsskandale werden wahrscheinlich aus dem Mittleren Osten, Indien und Pakistan, Kanada, Südkorea und Japan kommen. An Obama wird man dereinst als an den denken, der die Welt noch mehr gegen die Vereinigten Staaten von Amerika aufgebracht hat als sein Vorgänger George W. Bush – gewiss eine Leistung.

Washington behauptet, dass „jeder spioniert.“ Das stimmt, aber niemand kommt auch nur in die Nähe des gigantischen alles erfassenden Datenstaubsaugers NSA. Was die Vereinigten Staaten von Amerika getan haben, geht weit hinaus über das Sammeln von Informationen über eine Handvoll von antiamerikanischen Kämpfern. Das ist voll ausgewachsene Einschüchterung. Eine Erinnerung daran, dass der Grosse Bruder beobachtet und lauscht.

Der zutiefst korrupte Kongress der Vereinigten Staaten von Amerikas wird nicht viel unternehmen, um den Informationsdiebstahl der NSA zurechtzustutzen. Zu viele seiner Mitglieder profitieren von Geschäften, die auf der Basis von NSA-Überwachung gemacht werden.

Die Frage bleibt: wie kommt es dazu, dass die Aussenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika ein derartiger Sauhaufen ist, wo doch Onkel Sam jedermanns Telefon abhört und alle e-mails liest?

 
     
  erschienen am 26. Oktober 2013 auf > www.ericmargolis.com  
  Archiv > Artikel von Eric Margolis auf antikrieg.com  
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