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  Das Volk sagt Nein zum Krieg

Sheldon Richman

 

Die Verfassung hielt Präsident Obama nicht davon ab, Syrien anzugreifen. Das Volk machte das. Lassen Sie sich das einmal durch den Kopf gehen.

Obama, seine Spitzenberater, und viele seiner Parteigänger und Gegner im Kongress behaupten steif und fest, dass der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika die verfassungsmässige Kompetenz hat, ein anderes Land anzugreifen ohne Kriegserklärung oder so genannte „Vollmacht für den Einsatz von militätischer Gewalt,“ sogar wenn dieses Land keinerlei Bedrohung für die Vereinigten Staaten von Amerika, das amerikanische Volk oder das, was unbestimmt als „unsere Interessen“ bezeichnet wird, darstellt. Das scheint falsch zu sein, besonders im Licht des Kriegsermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1973. Obama jedoch machte diese angebliche Kompetenz bereits in Libyen geltend. Bill Clinton tat das in Kosovo und Bosnien durch NATO und UNO. George H.W. Bush tat es in Panama. Ronald Reagan tat es in Libanon und Grenada. Und so weiter zurück bis Harry Truman in Korea. (Die vielen geheimen Kriege ignoriere ich hier.) 

Constitution, Shmonstitution. War Powers, Shmar Powers. (leider nicht übersetzbar – Constitution: Verfassung, War Powers: Kriegsermächtigung)

Immerhin hat Obama Syrien (noch) nicht bombardiert. Vor zwei Wochen sagte er uns, dass er sich entschieden hat, das zu tun, aber dann beschloss er, die Frage dem Kongress vorzulegen. Nachdem Russland das Angebot machte, Syriens Chemiewaffen zu erfassen und zu zerstören, und Bashar al-Assad dem zustimmte, ersuchte Obama den Kongress, die Abstimmung aufzuschieben.

Was ist geschehen?

Das Volk ist geschehen. Meinungsumfragen zeigten auf einmal, dass die meisten von uns nicht wollen, dass Obama einen Akt des Krieges gegen Syrien setzt. Darüber hinaus überschwemmten die Menschen den Kongress mit Anrufen und e-mails. Aus diesem Grund (und in einigen Fällen aus persönlicher Überzeugung) wollen auch die meisten Kongressabgeordneten keinen Krieg mit Syrien. Obama verstand die Botschaft: er steuerte auf eine sichere Niederlage im Repräsentantenhaus und vielleicht im Senat zu. Die Aussicht auf eine Abfuhr konnte er nicht ertragen.

Der russische Präsident Vladimir Putin eröffnete ihm einen günstigen Ausweg. Weil das Volk keinen Krieg wollte, musste Obama ihn beschreiten, als sich eine mögliche diplomatische Lösung abzeichnete. Das Volk liess ihm keine andere Wahl.

Es ist lustig, den etablierten Experten zuzuhören, die entsetzt sind, dass die Kongressabgeordneten die Meinungsumfragen beachten, anstatt gegen Syrien „Führerschaft auszuüben.“ Es ist noch nicht lange her, als viele dieser Experten die Kongressabgeordneten aufforderten, die Umfragen zu beherzigen und für ausführlichere Hintergrundinformationen bei Waffenkäufern zu stimmen. Ich bemühe mich, hier eine gültige Richtlinie zu finden, aber kann einfach keine erkennen.

Das Volk – nicht die Verfassung – hat also Obama eingebremst.

Daraus lässt sich lernen. Noch nie hat Papier eine Regierung eingeschränkt. Was letztlich Regierungen einschränkt ist eine ausreichend große Anzahl von Menschen mit bestimmten Vorstellungen – einer Ideologie – über die Grenzen der staatlichen Macht. Wenn sich diese Vorstellungen ändern, wird sich die Macht der Regierung vergrößern oder verkleinern, je nachdem, auch wenn sich kein einziges Wort an der geschriebenen Verfassung ändert. Verfassungen interpretieren sich nicht selbst oder setzen sich nicht selbst durch. Methodologische Individualisten wissen, dass nur Personen solche Dinge tun, und sie tun sie auf der Grundlage ihrer Ideologie (ausdrücklich oder stillschweigend). Es sind Menschen auf der ganzen Linie. 

Das heisst nicht, dass Politiker sklavisch dem Volk gehorchen. Politiker achten aber auf Wahlen und sind sich dessen bewusst, dass es Grenzen für staatliches Handeln gibt, die von der vorherrschenden (schweigenden) Ideologie gesetzt werden, über die sie sich auf eigene Gefahr hinwegsetzen. Mehr noch, die Regierung hat immense Macht, zu beeinflussen, was Menschen wollen. Sie kann auch verschleiern, was sie tut, den Aufwand dafür steigern, dass man herausfindet, was wirklich vor sich geht, wie auch den Aufwand des Widerstands, wenn das Volk das herausfindet.

Étienne de La Boétie, der französische Politikphilosoph im 16. Jahrhundert wies hin auf etwas, was offenkundig sein sollte: die Anzahl der Beherrschten ist immer größer als die Zahl ihrer Beherrscher. In „Die Politik des Gehorsams: Abhandlung über freiwillige Knechtschaft“ stellte er die Frage 

wie es geschehen kann, dass so viele Menschen, so viele Dörfer, so viele Städte, so viele Länder manchmal unter einem einzelnen Tyrannen leiden, der keine andere Macht besitzt als die Macht, die sie ihm geben; der ihnen nur bis zu dem Ausmaß Leid zufügen kann, als sie von ihm zu ertragen bereit sind; der ihnen absolut kein Unrecht zufügen könnte, wenn sie es nicht bevorzugten, mit ihm gemeinsame Sache zu machen als gegen ihn zu sein. Sicher eine verblüffende Situation! ...

Offensichtlich besteht auch keine Notwendigkeit, gegen diesen einzelnen Tyrannen zu kämpfen, um ihn zu beseitigen, da er automatisch erledigt ist, wenn sich das Land weigert, seiner eigenen Versklavung zuzustimmen: es ist nicht nötig, ihm etwas wegzunehmen, sondern einfach ihm nichts zu geben; es besteht keine Notwendigkeit, dass das Land eine Anstrengung unternimmt, um etwas für sich selbst zu tun, solange es nichts gegen sich selbst tut. Es sind daher die Bewohner selbst, die ihre eigene Unterwerfung gestatten oder eigentlich bewirken, da sie ihrer Knechtschaft ein Ende bereiten würden, wenn sie aufhören, sich zu unterwerfen.

Ein Volk versklavt sich selbst, schneidet sich selbst die Kehle durch, wenn es angesichts der Wahl, entweder Vasallen oder freie Menschen zu sein, seine Freiheiten aufgibt und das Joch auf sich nimmt, seinem eigenen Elend zustimmt oder es anscheinend begrüsst.

Die Amerikaner haben einiges davon im Lauf der Jahre getan, so dass das Aufhalten dieses projektierten Krieges gegen Syrien durch sie ein Hauch frischer Luft ist, oder vielleicht ein kleiner Funken des Libertarianismus, der zu einem Flächenbrand entfacht werden kann. Es ist einen Versuch wert.

Ja, Krieg gegen Syrien ist noch immer möglich. Obama könnte befinden, dass Putins Idee ein Trick war (vielleicht ist es einer) und damit weitermachen, den Amerikanern Angst einzujagen, damit sie ihre Einstellung zum Krieg zu ändern. Wir werden dagegen auf der Hut sein müssen. Derzeit sagt das Volk nein.

Die Experten geben der „Kriegsmüdigkeit” die Schuld am Widerstand der Öffentlichkeit. Ich betrachte das als Beleidigung. Was sie meinen ist, dass wir aufgrund unserer Müdigkeit nicht wissen, was wir sagen, wenn wir sagen, dass wir keinen weiteren Krieg wollen. Wir reden Unsinn, weil wir nicht ordentlich denken. Wir sollten also von den Leuten ignoriert werden, die im Gegensatz zu uns klar denken. Anscheinend ist für den Krieg zu sein ein Anzeichen dafür, dass man klar denkt.

Ich glaube nicht, dass die Menschen kriegsmüde sind. Vielmehr sind sie, wie jemand (ich kann mich nicht erinnern wer) gesagt hat, misstrauisch gegenüber Krieg. Sie sind zu oft von ihren (Ver-)Führern und (Miss-)Repräsentanten gebrannt worden. Vor zehn Jahren wurde ihnen mit „einwandfreien“ Informationen versichert, dass der Irak aufgrund seiner Massenvernichtungswaffen eine Bedrohung ist. (Ein paar wenige anständige Reporter entlarvten diese Behauptungen.) Keine Massenvernichtungswaffen wurden gefunden. Vor zwölf Jahren wurde uns gesagt, dass wir gegen Afghanistan Krieg führen müssen, um uns vor al-Qaeda zu schützen. Der Krieg wütet noch immer, und al-Qaeda und/oder ihresgleichen haben sich verbreitet nach Irak, Libyen, Syrien, Jemen, Mali, Somalia und in andere Gebiete. Viele Menschen wurden getötet, verstümmelt und psychologisch geschädigt, über eine Billion Dollars wurde verschleudert ohne ein Ende in Sicht – wofür? Der militärisch-industrielle Komplex wird fett und die Wirtschaft stottert.

Die Amerikaner haben die Nase voll, und das ist höchste Zeit. Ihr „Nein“ zum Krieg ist die beste Nachricht, die wir seit langem hatten.

 
     
  erschienen am 13. September 2013 auf > THE FUTURE OF FREEDOM FOUNDATION > Artikel  
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