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  Schnüffeln läuft Amok

Eric S. Margolis

 

Wir wissen, dass elektronisches Schnüffeln komplett aus den Fugen geraten ist, nachdem Luxemburgs Premierminister Jean Claude-Juncker gerade wegen eines hässlichen Skandals ins Wanken gekommen ist, in den der kleine Geheimdienst seines Landes verwickelt war. 

Gemäß einigen Berichten wurde der Beherrscher Luxemburgs, Grossherzog Henri mittels einer Uhr im Dick Tracy-Stil abgehorcht. All das erinnert an den erfreulich dummen Film des kürzlich verstorbenen Peter Sellers „Die Maus, die brüllte.“

Europa lacht jedenfalls nicht. Kürzliche Enthüllungen über massive ultra-eindringliche elektronische Bespitzelung in Europa seitens der Vereinigten Staaten von Amerika durch den flüchtigen Vertragspartner der National Security Agency (NSA - Nationale Sicherheitsbehörde) Edward Snowden lösten einen Flächenbrand der Empörung – und Scheinheiligkeit – quer durch die Europäische Union aus. 

Deutschland mit finsteren Erinnerungen an Gestapo und ostdeutsche Stasi ist besonders erbost. Das Magazin der Spiegel sagt, dass Dokumente, die ihm von Snowden gezeigt wurden zeigen, dass die NSA eine halbe Milliarde Telefongespräche, e-mails, Faxe und Bankkommunikationen in Deutschland allein mitgelesen hat – in einem Monat. Deutsche Regierungsvertreter bezeichneten diese Bespitzelung als „widerlich“ und „untragbar.“

Frankreichs Aussenminister Alain Juppé verurteilte die Vereinigten Staaten von Amerika wegen der Bespitzelung eines engen Verbündeten. Russland und China rieben ihre Hände fröhlich über Washingtons offensichtliche Verlegenheit.

Zwei Punkte sollte man vor Augen haben. Erstens der liebe alte Onkel Sam bespitzelt tatsächlich jeden und alle. Seine grossen elektronischen Ohren und die seiner sehr engen Alliierten saugen alle elektronischen Kommunikationen auf – und das schon seit Jahrzehnten. Jede ausländische Botschaft in Washington ist verwanzt, die meisten geheimen Codes werden durch die riesigen Computer der NSA und mathematische Zauberer geknackt.

Jetzt erfahren wir, dass sogar unsere persönlichen Computer, Handys und Tastaturen verwanzt sind. Es ist klar, dass die Überwachungstechnologie die Einschränkungen durch Recht oder gute Regierungsführung weit überschritten hat. Die riesige Sicherheitsbürokratie ist ausser Kontrolle.

Man fragt sich, wieviel nutzbare Information der Große Bruder aus dem Datenmeer heraus destillieren kann, das er sich schafft? In Ostdeutschland und in der Sowjetunion lauschte ein „Hörer“ immer mit und machte sich Notizen.

Aber das war im Kalten Krieg. Heute filtern und analysieren Computer jedes Wort, suchen nach Schlüsselphrasen, bestimmten Wörtern oder Mustern.

Zweitens brandmarken Europas Politiker die Vereinigten Staaten von Amerika lautstark, weil sie ihre Völker bespitzeln. Aber Britannien, Deutschland, Italien, Holland, Spanien und Belgien unterzeichneten vor Jahrzehnten geheime Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die es NSA und CIA erlaubten, ihre Bürger zu bespitzeln, und um geheimdienstliche Informationen mit Washington zu teilen. Der grösste NSA-Lauschposten in Europa befindet sich im NATO-Hauptquartier in Brüssel.

Frankreichs Geheimdienste, besonders DGSE und dessen Vorgänger SDECE waren berüchtigt fürs Abhören ihrer Bürger, Politiker und ausländischer Opfer. Die meisten Franzosen gingen davon aus, dass alles, was über Telefon gesprochen wurde, aufgezeichnet wurde. Sogar Bettgeflüster mit einer Freundin war riskant. DGSE ging sogar so weit, die Sitze der ersten Klasse der Air France zu verwanzen.

Britanniens streng geheime GCHQ Lauschbehörde war beinahe eine Nebenstelle von NSA und CIA. Das selbe gilt für elektronische Schnüffelbehörden in Australien, Neuseeland, Dänemark und Kanada. Der von den Sowjets betriebene Warschauer Pakt hatte eine ähnliche Struktur: die Sicherheitsagenturen des Ostblocks wurden zu „kleinen Brüdern“ des KGB. Bulgariens Spionageagentur wurde benutzt für „feuchte Affären,“ die Tschechen für anspruchsvolle Operationen, die Ostdeutschen für die Infiltrierung Wetdeutschlands. Der Geheimdienst der Vereinigten Staaten von Amerika benutzt die selbe subsidiäre Struktur in Europa und Teilen Asiens.

Die kürzliche Weigerung seitens Frankreichs, Spaniens, Italiens und Portugals, das Flugzeug des Präsidenten von Bolivien ihren Luftraum passieren zu lassen wegen eines falschen CIA-Berichts, dass Ed Snowden sich an Bord befinde, schockierte die meisten Europäer und liess sie darüber nachdenken, wie stark eigentlich der amerikanische Einfluss auf ihre Regierungen in Wirklichkeit ist. 

Frankreich, der selbsternannte Vorreiter der Menschenrechte und des Asyls für politische Flüchtlinge beschmutzte sich in der „Affäre Snowden“ selbst mit Schande und Ehrlosigkeit.

Genauso ist Washingtons lahme Ausrede „jeder tut das“ oder „das ist gegen den Terrorismus gerichtet“ eindeutig ein Schwindel. Kein anderes Land baut eine derart intensive weltweite Schnüffeloperation auf. Die Bespitzelung von Handelsbeauftragten der EU, die über Bananenquoten diskutieren, hat nichts zu tun mit sogenanntem Terrorismus. 

Bürokraten und Politiker hassen Whistleblowers. Nicht so sehr deshalb, weil diese tapferen, sozial gesinnten Menschen tiefe dunkle Geheimnisse des Staates enthüllen, sondern weil sie peinliche politische Verlegenheit bewirken und alle Arten von schmutzigen Geschäften aufzeigen, die vor den Wählern verborgen waren. Aus diesem Grund werden Lynchaktionen geplant sowohl gegen den Whistleblower der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika Bradley Manning als auch gegen Ed Snowden.

Die wirkliche „nationale Sicherheit,“ um die es hier geht, ist die Sicherheit scheinheiliger Politiker und Karrierebürokraten.

 
     
  erschienen am 13. Juli 2013 auf > www.ericmargolis.com  
  Archiv > Artikel von Eric Margolis auf antikrieg.com  
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