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  V I E T N A M

Psychokrieg gegen die Geschichte  

John Pilger 

 

Bei der Ankunft in einem Dorf in Südvietnam erblickte ich zwei Kinder, die die Merkmale des längsten Krieges des 20. Jahrhunderts trugen. Ihre schrecklichen Entstellungen waren allzu vertraut. Den gesamten Mekongfluss entlang, wo die Wälder versteinert waren und still, lebten kleine menschliche Mutationen, so gut sie konnten.

Heute ist ein ehemaliger Operationssaal im Tu Du Kinderspital in Saigon bekannt als die „Sammlung“ und inoffiziell als der „Raum der Schrecken.“ Darin befinden sich Regale mit großen Glasbehältern mit grotesken Embryonen. Während ihrer Invasion von Vietnam sprühten die Vereinigten Staaten von Amerika ein Entlaubungsgift auf Vegetation und Dörfer um „dem Feind die Deckung“ zu nehmen. Das war Agent Orange, welches Dioxin enthielt, dermaßen starke Gifte, dass sie den Tod der Embryonen, Fehlgeburten, Schädigungen der Chromosomen und Krebs verursachen.  

1970 enthüllte ein Bericht des Senats der Vereinigten Staaten von Amerika, dass “die Vereinigten Staaten von Amerika [auf Südvietnam] eine Menge giftiger Chemikalien abgeworfen haben, die drei Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung ausmacht, eingeschlossen Frauen und Kinder.“ Der Codenamen für diese Massenvernichtungswaffe, Operation Hades, wurde zu dem freundlicher klingenden Operation Ranch Hand (Farmhelfer) umgeändert. Heute sind geschätzte 4,8 Millionen Opfer von Agent Orange Kinder.

Len Aldis, der Sekretär der Britisch-Vietnamesischen Freundschaftsgesellschaft kam vor kurzem aus Vietnam zurück mit einem Brief von der Vietnamesischen Frauenunion an das Internationale Olympische Komitee. Die Präsidentin der Union, Frau Nguyen Thi Thanh Hoa beschrieb die „schweren [verursacht durch Agent Orange] von Generation zu Generation vererbten Deformationen.“ Sie ersuchte das IOC, seine Entscheidung zu überdenken, die Dow Chemical Corporation als Sponsor der Olympischen Spiele in London zu akzeptieren, welche eine der Firmen war, die das Gift herstellten und sich weigerte, die Opfer zu entschädigen.

Aldis lieferte eigenhändig den Brief im Büro von Lord Coe ab, dem Vorsitzenden des Londoner Organisationskomitees. Er bekam keine Antwort. Als Amnesty International darauf hinwies, dass Dow Chemical 2001 die Firma kaufte, „die verantwortlich war für den Gasaustritt in Bhopal [1984 in Indien], der 7.000 bis 10.000 Menschen sofort tötete und 15.000 in den 20 Jahren danach,“ beschrieb David Cameron Dow als „ehrbare Firma.“ Prost dann, wenn die Kamera die sieben Millionen Pfund teure Verkleidung zeigt, die das olympische Stadium einhüllt: das Ergebnis eines Zehnjahres“handels“ zwischen dem IOC und einem so ehrbaren Zerstörer. 

Die Geschichte ist also begraben mit den Toten und Entstellten von Vietnam und Bhopal. Und die Geschichte ist der neue Feind. Am 28. Mai startete Präsident Obama eine Kampagne, um die Geschichte des Krieges gegen Vietnam zu verfälschen. Für Obama gab es kein Agent Orange, keine Freifeuerzonen, keine Truthahnjagden, keine vertuschten Massaker, keinen grassierenden Rassismus, keine Selbsttötungen (gleichviele Amerikaner, wie in dem Krieg getötetet wurden, töteten sich selbst), keine Niederlage durch eine Widerstandsarmee, hinter der eine verarmte Gesellschaft stand.

Es war, sprach der Herr Hopey Changey, „eine der außergewöhnlichsten Geschichten von Tapferkeit und Rechtschaffenheit in den Annalen der Militärgeschichte [der Vereinigten Staaten von Amerika].“

Am Tag darauf brachte die New York Times einen langen Artikel, in dem aufgezeigt wird, wie Obama persönlich die Opfer seiner Drohnenattacken auf der ganzen Welt auswählt. Er macht das an den „Terror-Dienstagen,“ wenn er die Steckbrieffotos auf einer „Todesliste“ durchsieht, auf der auch einige Teenager zu finden sind, darunter „ein Mädchen, das noch jünger aussah als die 17 Jahre, die sie alt war.“ Viele sind unbekannt oder nur im Militäralter. Gesteuert von „Piloten,“ die vor Computermonitoren in Las Vegas sitzen, feuern die Drohnen Hellfire-Raketen ab, die die Luft aus den Lungen saugen und die Menschen in Fetzen sprengen. Vergangenen September tötete Obama einen Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika nur aufgrund von Gerüchten, dass er zu Terrorismus aufrufe. „Das ist einfach,“ hätte er laut Helfern gesagt, als er das Todesurteil des Mannes unterschrieb. Am 6. Juni tötete eine Drohne 18 Menschen in einem Dorf in Afghanistan, darunter Frauen, Kinder und Alte, die eine Hochzeit feierten.

Der Artikel in der New York Times war weder durchgesickert noch sollte er aufdecken. Er war ein Stück Werbung, erstellt von der Obama Administration, um zu zeigen, was für ein harter Kerl der „Oberbefehlshaber“ in einem Wahljahr sein kann. Falls er wieder gewählt wird, wird die Marke Obama weiterhin den Reichen dienen, diejenigen verfolgen, die die Wahrheit sagen, Länder bedrohen, Computerviren verbreiten und jeden Dienstag Menschen ermorden. 

Die in Washington und London koordinierten Drohungen gegen Syrien erreichen neue Höhen der Scheinheiligkeit. Im Gegensatz zu der als Berichterstattung präsentierten rohen Propaganda identifiziert der investigative Journalismus der deutschen Tageszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung die Verantwortlichen für das Massaker in Houla als die „Rebellen,“ die von Cameron und Obama unterstützt werden. Als Quellen führt die Zeitung auch Rebellen an. Das wurde in Britannien nicht gänzlich ignoriert. In seinem eigenen Blog serviert Jon Williams, bei der BBC für die Weltnachrichten zuständig, seine eigene „Berichterstattung,“ in der er Vertreter des Westens zitiert, die den „Psychokrieg“ gegen Syrien als „brillant“ beschreiben. So brillant wie die Zerstörung von Libyen, des Irak und Afghanistans.

Und so brillant wie die Propagandaaktion der letzten Förderung des Guardian für Alastair Campbell, den Hauptkollaborateur von Tony Blair bei der verbrecherischen Invasion des Irak. In seinen „Tagebüchern“ versucht Campbell, irakisches Blut auf den Dämon Murdoch zu spritzen. Es ist genügend vorhanden, um sie alle zu durchtränken. Die Anerkennung der Tatsache, dass die respektablen, liberalen, Blair hofierenden Medien eine wesentliche Rolle bei der Begehung dieses epischen Verbrechens gespielt haben, unterbleibt allerdings und bleibt weiterhin ein einzigartiger Test für intellektuelle und moralische Aufrichtigkeit in Britannien.

Wie lange noch müssen wir uns einer derartigen „unsichtbaren Regierung“ unterwerfen? Dieser Begriff für heimtückische Propaganda, zuerst benutzt von Edward Bernays, dem Neffen Sigmund Freuds und Erfinder der modernen Public Relations, hat noch nie genauer gepasst. „Falsche Realität“ erfordert historischen Gedächtnisverlust, Lügen durch Unterlassung und die Zuweisung von Bedeutung an das Bedeutungslose. Auf diese Weise wurden politische Systeme, die Sicherheit und soziale Gerechtigkeit versprachen, durch Piraterie, „Sparprogramme“ und „ewigen Krieg“ ersetzt: ein Extremismus, der dazu gedacht ist, die Demokratie über den Haufen zu werfen. Würde ein Einzelner auf diese Weise handeln, würde er als Psychopath betrachtet. Warum lassen wir uns das gefallen?

 
     
  erschienen am 23. Juni 2012 auf > www.antiwar.com > Artikel  
  Archiv > Artikel von John Pilger auf antikrieg.com  
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