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  Chinas Vormacht muss nicht Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika bedeuten

Gwynne Dyer

 

Gerade als dieses Monat der chinesische Vizepräsident Xi Jinping in den Vereinigten Staaten von Amerika zu einem viertägigen Besuch eintraf, verkündete Präsident Obama einer Zuhörerschaft von Arbeitern in Milwaukee: „Die Produktion kommt zurück!“ Zurück von China, meinte er damit.

Aber während die Firma Master Lock Co. in Milwaukee tatsächlich einige Arbeitsplätze zurück in die Vereinigten Staaten von Amerika verlegt hat, weiß doch jeder, dass in Wirklichkeit der Fluss in die andere Richtung weiter geht. Es macht nichts aus, ob Chinas Wirtschaft die amerikanische 2020, 2025 oder 2030 letztlich überholt. Eine große Verlagerung von Produktivität und Reichtum findet zur Zeit statt und wirtschaftliche Kraft überträgt sich generell ziemlich direkt auf militärische Macht. Werden die Vereinigten Staaten von Amerika und China also imstande sein, die Verlagerung ohne einen großen Krieg hinzukriegen?

Am Ende seines Besuchs in den Vereinigten Staaten von Amerika versicherte Xi, der angehende chinesische Anführer, den Delegierten einer Handelskonferenz am 18. Februar in Los Angeles: „Ein prosperierendes und stabiles China wird für kein Land eine Bedrohung bilden. Es wird nur eine positive Kraft bilden für den Weltfrieden und Entwicklung.“ Mag sein, aber alle anderen sind diesbezüglich sehr nervös.

Der Übergang von einer dominierenden wirtschaftlichen Weltmacht zu einer anderen ist immer heikel, und die historischen Beispiele sind nicht gerade ermutigend. Spanien war die Supermacht des 16. Jahrhunderts, und der Übergang zur französischen Vorherrschaft, obwohl nie vollständig, zog einige Generationen von Kriegen nach sich. Dann löste Britannien Frankreich ab, was wiederum einige Generationen von Kriegen hervorbrachte.

Als Deutschland die britische Vorherrschaft herausforderte und Japan begann, sein Imperium in der pazifischen Region und in Ostasien am Beginn des 20. Jahrhunderts zu errichten, führte der Übergang zu zwei Weltkriegen – und resultierte in der de facto Aufteilung der Welt zwischen zwei nichteuropäischen Supermächten, den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion. Die Omen sind nicht vielversprechend, gelinde gesagt. 

Beide, die bewaffneten Kräfte der Vereinigten Staaten und Chinas benützen diese Beispiele, um für höhere Militärausgaben zu plädieren. Die chinesischen Generäle machen es hauptsächlich vertraulich, innerhalb der Hierarchie der kommunistischen Partei. Die amerikanischen Militärführer machen es eher öffentlich, indem sie Bedrohungsszenarien schildern, mit denen sie die Öffentlichkeit ängstigen, um die Verteidigungsausgaben hoch zu halten, aber beide Gruppen spielen das gleiche Spiel.

Sie können´s nicht besser. Ihre militärische Ausbildung und ihr gesamtes Weltbild konditionieren sie auf die Erwartung von Konflikten, und ihr gemeinsames Interesse an einem höheren Verteidigungsbudget bringt sie dazu, fast jede Änderung als Bedrohung zu definieren. Manchmal sieht es so aus, als wären wir verdammt, die Vergangenheit bis in alle Ewigkeit zu wiederholen. Die Vergangenheit jedoch ist eine komplizierte Sache, und es findet eine systematische Verzerrung der Geschichte statt, die die Betonung auf gewalttätige Übergänge legt - auf Kosten von friedlichen. In der Tat ging mindestens ein bedeutender Machtübergang in den vergangenen Jahrhunderten gänzlich friedlich vor sich.

Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika übernahm die britische gegen Ende des 19. Jahrhunderts, und es war keineswegs unvermeidlich, dass der Wechsel in der Hackordnung friedlich sein würde. Die Zeit, in der die beiden Länder enge Verbündete sein würden, lag noch in ferner Zukunft, und das 19. Jahrhundert hindurch betrachteten die Amerikaner Britannien, ihre alte Kolonialmacht, als ihren gefährlichsten Feind. Die beiden Länder trugen ihren letzten Krieg 1812-1814 aus, aber Britannien beließ bis 1870 eine Besatzung in Kanada. 

Dann zog London die Besatzung zurück, aber nicht, weil es den Vereinigten Staaten von Amerika traute. Es kalkulierte einfach, dass die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt so stark waren, dass Britannien niemals einen Landkrieg gegen diese in Nordamerika gewinnen konnte. Es kam auch zum Schluss, dass eine große Präsenz der königlichen Marine in amerikanischen Gewässern die Vereinigten Staaten von Amerika wahrscheinlich zu einem Wettrüsten bringen würde, das Britannien verlieren würde, daher reduzierte es die Anzahl der Kriegsschiffe, die es im westlichen Atlantik behielt.

Das war die richtige Strategie. Die Vereinigten Staaten von Amerika marschierten nie mehr in Kanada ein, und obwohl sie sich jede Menge in die inneren Angelegenheiten der verschiedenen karibischen und zentralamerikanischen Länder einmischten, bedrohte das keine wesentlichen britischen Interessen. Die Dornenkrone der größten Macht der Welt ging von Britannien auf die Vereinigten Staaten von Amerika über ohne Krieg, und innerhalb einer weiteren Generationen waren die beiden Länder Alliierte.

Jetzt ist also Amerika dran herauszufinden, was es mit einem aufstrebenden Großmachtrivalen am fernen Ufer eines großen Ozeans machen soll, und eine Option wäre, das britische Beispiel nachzuahmen. Die Chinesen nicht provozieren, indem man ihr Land mit Luftwaffenbasen, Flugzeugträgerflotten und Militärallianzen umstellt, und sie werden sich wahrscheinlich gut verhalten. Wenn sie das nicht tun, dann sind die anderen großen asiatischen Mächte Japan, Indien und Russland durchaus imstande, ihre eigenen Interessen zu beschützen.

Die VereinigtenStaaten von Amerika haben keine wirklich lebenswichtigen Interessen auf dem asiatischen Kontinent, oder zumindest keine, die sie schützen könnten, indem sie gegen China kämpfen. Sie waren völlig sicher vor fremden Angriffen, ehe sie zur größten Macht der Welt wurden, und werden militärisch unverwundbar bleiben, noch lange nachdem sie diese Rolle verloren haben.

Britannien geht es um vieles besser als damals, als es die Welt beherrschte, und seine Menschen sind wahrscheinlich auch glücklicher. Niedergang (besonders Niedergang, der nur relativ ist) ist nicht annähernd so schlimm, wie die Amerikaner glauben.

 
     
  erschienen am 21. Februar 2012 auf > The Orange County Register > Artikel > Gwynne Dyers Website  
  Archiv > Artikel von Gwynne Dyer auf antikrieg.com  
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