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  Militärisch-industrieller Journalismus

 

Rupert Murdochs Spezialität war die Ausübung des Journalismus in zynischer Verhöhnung unseres Verlangens nach Wissen.

Plötzlich ist das allen klar.

Das Handy eines vermissten Teenagers hacken? Löschen von Anrufen, Behinderung der verzweifelten Suche nach ihr? Abhören der Telefone von Terrorismusopfern, von toten Soldaten? Welche Art von Redaktionskultur könnte wohl die intimen Momente unerträglicher Unruhe und Sorge schätzen, die auf diese Weise erhascht werden? Welche Art von Organisation würde das als „Neuigkeiten“ bezeichnen? 

Sogar die von uns, die schon lange, lange, lange die Nase voll haben von der Marke Murdoch, waren schockiert über dieses neue Tief von Zynismus und Menschenverachtung. Es war ein Gefühl, als wäre etwas aufgerissen und die Details kamen ans Licht: nicht nur ein Mangel an Ethik, sondern ein ethisches Vakuum, absolut in seiner Verachtung unserer Leben. Und diese Verachtung ist das Fundament eines Medienimperiums. 

Murdoch ist nicht irgendein schmieriger Hausierer. Er gehört zu den reichsten und mächtigsten Leuten auf dem Planeten – und er verfolgt eine politische Agenda, die ihm mehr wert ist als eine Milliarde da oder dort, bilde ich mir ein. Über die schweigende Bösartigkeit seines Einflusses auf öffentliche Vorgänge, die über die sensationslüsternen Schlagzeilen und die blutrünstige Skandalhascherei, mit der er uns zuscheißt, hinausgeht, mache ich mir wirklich Sorgen.  

So groß Murdoch in den Vereinigten Staaten von Amerika ist mit seinem 24-7 (rund um die Uhr) rechtsgerichteten Propagandanetzwerk namens Fox News, im Vereinigten Königreich ist er größer als die königliche Familie. „Er wird oft bezeichnet als das permanente Regierungsmitglied des Landes,“ schrieb Beth Fouhy vor kurzem für Associated Press. Seit den Tagen der Margret Thatcher war er der Pate der britischen Premierminister, denen er Angebote machen konnte, die sie nicht ablehnen können.  

Seit der Hackerskandal öffentlich bekannt wurde, strampelt David Cameron, der derzeitige Premierminister, um sich aus seinen Verbindungen zu Murdoch herauszuwursteln. Es gibt aber kein Entrinnen aus der Tatsache, dass Camerons ehemaliger Kommunikationsdirektor Andy Coulson der Herausgeber von News of the World war, bevor er in das Team des Premierministers übernommen wurde und einer von den zehn Leuten ist, die tief in dem Sumpf stecken.

Ich weiß nicht, ob das Murdoch-Imperium News Corporation diesen Skandal einigermaßen heil und bösartig wie immer überstehen wird, oder ob es umbenannt werden muss in News-Kadaver (was man nur hoffen kann). Die Offenlegung seiner Aktivitäten ist jedenfalls eine äußerst lehrreiche Angelegenheit, eine Chance, die Rolle von Journalisten und die Bedeutung von Nachrichten zu überdenken.

Um damit zu beginnen, stelle ich die beiden Extreme von Murdochs überzogenem Einfluss auf unser Leben, unsere Politik und unser Selbstbewusstsein nebeneinander. Der Funken, der den Skandal auslöste, war die Enthüllung des Guardian-Reporters Nick Davies, dass Mitarbeiter von News of the World das Handy von Milly Dowler gehackt hatten, eines 13 Jahre alten Mädchens, das 2002 in der Nähe Londons auf dem Nachhauseweg von der Schule entführt worden war. Monate danach wurde ihre Leiche gefunden, sie war ermordet worden. In der Zeit bis vor dieser Entdeckung, als unerträgliche Angst und wilde Hoffnung bei Millys Familie und Freunden herrschten, verwerteten Murdochs Lakaien die Tragödie zu ihrem Wert als Nervenkitzel, um Häppchen von „human interest“ zu ergattern und diese in ihrer Zeitung vorzuführen.

Das ist ein Journalismus, der völlig entleert ist von jeglicher Sympathie für den Menschen – Journalismus auf der falschen Seite der menschlichen Rasse, würde ich sagen. Dieser hat null Interesse, zu einer informierten Gesellschaft beizutragen oder sozialen Zusammenhalt zu schaffen. Er ist giftiges Junk-Food, eine gruselige Art von „Realitäts“-Unterhaltung, die gelangweilten und isolierten Lesern geliefert wird zu keinem anderen Zweck, als dass diese weiterhin das Produkt konsumieren. Das hat Murdoch über jede Vorstellung hinaus reich gemacht.

Hier ist das andere Extrem, wir entnehmen es Fouhys Bericht in AP über Murdochs Einfluss auf die britische Politik: „Murdoch wechselte letztendlich auf die Seite von Tony Blair, dem Labour-Premierminister von 1997 bis 2007. Blair telefonierte wiederholt mit Murdoch, ehe er britische Truppen 2003 im Krieg gegen den Irak einsetzte, was stark von Murdochs Zeitungen rund um die Welt befürwortet wurde.

Für mich verstärkt das den Skandal millionenfach. Hier ist ein demokratisch gewählter Führer eines Staates, der sich mit seinem geheimen Wohltäter abspricht, um Krieg auf den Planeten zu bringen. Das ist militärisch-industrieller Journalismus, der um des Profits willen zum Krieg konspiriert, der Politiker seinen Interessen entsprechend beugt von der starken Position seines finanziellen Erfolgs aus, den er mit dem Vertrieb schmieriger Skandalgeschichten macht. Murdochs ethische Leere ist nicht auf sein schundiges Medienimperium beschränkt. Er spielt mit Krieg und Frieden.

Das ist Journalismus, der Amok läuft – das genaue Gegenteil des Ideals meines Berufs. Statt in gegenerischer Position der Macht gegenüber zu stehen und die Interessen derer zu vertreten, die außerhalb stehen, steht er da als Gegner der Menschheit insgesamt. In der Murdoch-Welt sind wir alle Abstraktionen, egal ob wir nur einen Namen haben (Milly Dowler) oder nur ein Etikett, das der Masse (die Iraker) aufgeklebt wird. 

Der Journalismus kann sich hinauf bewegen zur Macht, zu ihrem Schoßhund werden und sogar, wie die Enthüllungen rund um den News-Kadaver gezeigt haben, selbst zur Macht werden, ein Diktator hinter den Kulissen, der die Welt gemäß seinen eigenen Interessen manipuliert.  

Wirkliche Journalisten jedoch jagen die Macht auseinander, wie Davies und der Guardian es vorgemacht haben mit den Enthüllungen über News of the World. In diesem Skandal geht es letztlich nicht um Murdoch, sondern um jeden, der das Handwerk des Journalismus betreibt. Die Zeit ist gekommen, in der wir uns fragen müssen: auf welcher Seite stehen wir?

 
     
  Robert Koehlers Artikel erscheinen u.a. auf COMMONWONDERS.COM und HUFFINGTON POST  
     
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