HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
     
  Bin Laden – tot gefährlicher als lebendig

Eric S. Margolis

Die Ermordung Osama bin Ladens durch Spezialkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika in Abbotabad, Pakistan, wird wahrscheinlich Barack Obama den Sieg im Rennen um die Präsidentschaft im Jahr 2012 sichern. Die Falken unter den Republikanern werden es schwer haben mit ihrer Behauptung, dass Obama „zu sanft mit dem Terrorismus“ umgeht.  

Die näheren Umstände der Ermordung bin Ladens bleiben geheimnisumwittert. Die Mission, eine gemeinsame Operation zwischen CIA und Special Forces, scheint ihren Ausgang von einem von den Vereinigten Staaten von Amerika kontrollierten Luftwaffenstützpunkt in Pakistan genommen zu haben – ohne vorherige Information der pakistanischen Regierung. Amerikanische Quelle berichten, dass Osama zweimal in den Kopf geschossen wurde, auch sein Sohn wurde ermordet.  

Bin Ladens Leiche wurde fotografiert und dann anscheinend von einem Flugzeug der Vereinigten Staaten von Amerika aus in das Meer geworfen. Washington behauptet, dass das gemacht worden sei, um den muslimischen Begräbnisvorschriften zu entsprechen, die eine möglichst schnelle Beerdigung fordern. Das klingt grotesk.   

Der wirkliche Grund ist eher darin zu sehen, dass verhindert werden sollte, dass bin Ladens Grabstätte zu einem Wallfahrtsort wird, und, so werden einige Zyniker behaupten, um den Beweis loszuwerden. Endlose Behauptungen stehen ins Haus, dass ein Doppelgänger bin Ladens getötet wurde, während der wahre Jakob weiterhin sein Unwesen in Pakistan treibt. Eine Reihe gefälschter Videoaufnahmen, die benutzt wurden, um bin Laden als Drahtzieher der Attacken vom 9/11 hinzustellen, wurden mit Doppelgängern gedreht.   

Schadenfrohe Amerikaner jubeln, dass der Mann, dem das monströse Verbrechen des 9/11 zur Last gelegt wird, nach zehn Jahren Suche getötet worden ist. Die Nachdenklicheren werden vielleicht innehalten, um über das bemerkenswerte Quixotische Drama eines einzelnen Mannes zu sinnieren, der ausgezogen war, um das mächtige amerikanische Imperium zu stürzen.    

Den Menschen in der muslimischen Welt, wo viele bin Laden als Helden und Befreier von der Beherrschung durch den Westen bejubelten, wird seine Ermordung amerikanische Gangstermethoden und Leichen, die in die Gewässer und Sümpfe von New Jersey geworfen wurden, ins Gedächtnis rufen. Besonders nachdem Kampfflugzeuge der NATO Muammar Gaddafis jüngsten Sohn und drei seiner Enkel ermordeten.  

Es ist zu erwarten, dass die bereits gespannten Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Pakistan sich verschlechtern werden, wenn die Amerikaner Pakistan beschuldigen, bin Laden ein Jahrzehnt lang beherbergt zu haben. Ich habe schon lange gesagt, dass bin Laden sich in Pakistan aufhält, was wahrscheinlich dem pakistanischen Geheimdienst ISI ein bisschen bekannt sein sollte, obwohl dessen fähiger früherer Generaldirektor Hamid Gul, dessen Wort ich respektiere, diese Behauptung in Abrede stellt.   

Es ist höchst bedauerlich, dass bin Laden buchstäblich ausgelöscht worden ist. Wäre er lebend gefangen genommen worden, hätte der Mitbegründer von al-Qaida in die Vereinigten Staaten von Amerika gebracht werden sollen, um in New York City vor Gericht gestellt zu werden, oder, falls das nicht geht, in einem Militärstützpunkt – aber mit Anwälten und einer zivilen Jury, wie es dem Gesetz der Vereinigten Staaten von Amerika antspricht.   

Die ganze Geschichte von 9/11 und al-Qaida bleibt dunkel und verworren. Ein ganzes Drittel der Amerikaner glaubt nicht die offizielle Version der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über 9/11 und glaubt, die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika oder Israel wären irgendwie beteiligt gewesen - ohne schlüssigen Beweis, aber mit einem Haufen ärgerlicher Fragen.

Viel vom Rest der Welt glaubt auch nicht die offizielle 9/11-Version. In der muslimischen Welt erreicht der Prozentsatz der Ungläubigen mehr als 80%.  

Jetzt, nach bin Ladens Tod, werden wir es vielleicht niemals wirklich wissen. Tote Männer reden nicht. Bin Laden behauptete lange, er habe keine Rolle bei 9/11 gespielt. Dennoch äußerte er gewiss seine Zustimmung und Unterstützung nach der Tat. Die verdächtigten al-Qaida-Leute, von denen die CIA brutal Geständnisse erfoltert hat, sind unverlässliche Quellen von Beweisen, die nie von Gerichten der Vereinigten Staaten von Amerika zugelassen würden.    

Einen Punkt möchte ich endgültig klären: auf der Grundlage meiner langen Erfahrungen in Afghanistan und Pakistan und mit Jihadi-Gruppen und bin Ladens Mentor und Lehrer Sheikh Azzam kann ich mit großer Gewissheit sagen, dass bin Laden niemals für oder mit der CIA gearbeitet hat, wie oft behauptet worden ist. Sie standen bloss auf der gleichen Seite im Kampf gegen die Sowjets.

Eine große offene Frage ist jetzt, mit welcher Rechtfertigung Washington auffahren wird, um 150.000 Soldaten des Westens in Afghanistan zu behalten?

Die Jagd auf bin Laden war, wie wir uns erinnern, der hauptsächliche Grund für die Entsendung von Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika in dieses entlegene Land. Ohne Zweifel werden die Taliban und deren Anführer Mullah Omar von der Medienmaschinerie der Vereinigten Staaten von Amerika in die Rolle bin Ladens gedrängt werden.  

Und was ist mit al-Qaida? Wie ich seit 1999 schrieb, war diese extremistische Gruppe klein. Nie mehr als 300 Mann im Jahr 2001. Heute besteht der Kern der al-Qaida in Pakistan aus einer Handvoll gejagter Männer. CIA-Chef Leon Panetta versicherte, dass es in Afghanistan keine 50 al-Qaida-Mitglieder gibt. Es sind vielleicht hundert in Pakistan – alle auf der Flucht. 

Die nordamerikanischen Medien und die Bushregierung übertrieben wild die Gefährlichkeit, Stärke und Reichweite von al-Qaida und versetzten die Amerikaner in derlei panische Mutmaßungen, wie der Analyst Kevin Phillips schrieb, dass Vorstadtmütter im tiefsten Mittleren Westen starr vor Schreck glaubten, Osama bin Laden würde kommen und ihre Kinder holen.  

Das Gespenst al-Qaida lieferte einen bequemen Vorwand für den Einmarsch in Afghanistan, um strategisches Territorium in nächster Nähe zum zentralasiatischen Erdöl unter Kontrolle zu kriegen, China aus dieser Region draußen zu halten und die Ausgaben für Waffen zu verdoppeln. Der Überfall auf den erdölreichen Irak wurde unter anderem auch mit offenkundig falschen Behauptungen des Weißen Hauses gerechtfertigt, Saddam Hussein habe bei 9/11 gemeinsame Sache mit Osama bin Laden gemacht.  

Al-Qaida „Filialen” in Nordafrika, Arabien und Südasien sind einfach kleine Gruppen von lokalen Kämpfern, die das Markenzeichen al-Qaida übernommen haben, ohne in irgendeiner Verbindung mit den Resten der al-Qaida in Pakistan zu stehen. Sie sind mehr ein gefährlicher Unsinn als eine tödliche Bedrohung.

Osama bin Laden wird vielleicht wirklich tot sein. Er sagte schon vor langer Zeit voraus, er würde als Martyrer in einem Schusswechsel mit Kräften der Vereinigten Staaten von Amerika sterben. Bin Laden war in den vergangenen acht bis zehn Jahren praktisch im Ruhestand und verbrauchte seine Zeit und Energie damit, mit einem auf ihn ausgesetzten Kopfgeld von $25 Millionen am Leben zu bleiben. Er war nahezu irrelevant geworden.    

Al-Qaidas Nummer Zwei, der Ägypter Ayman al-Zawahiri, ist nach wie vor unbekannten Aufenthalts und ist jetzt nomineller Chef dessen, was von der Organisation übrig geblieben ist, deren strategischer Leiter er viele Jahre lang war. Dr. Zawahiri, der in Ägypten brutal gefoltert worden ist, ist ein gefährlicher Extremist mit viel Blut an seinen Händen und einem Verlangen nach Rache.  

Bin Laden ist tot, aber der bin-Ladenismus lebt weiter. Osamas hauptsächliches Ziel war es, die Herrschaft des Westens über die muslimische Welt und die Ausbeutung von deren Ressourcen zu beenden, die, wie er sagte, ausgeplündert werden. Die vom Westen gestützten Diktatoren, Generäle und Könige, die die muslimische Welt als Aufseher für fremde Interessen regieren, müssen gestürzt werden, proklamierte bin Laden.  

Die muslimische Welt wies bin Ladens blutrünstige Einstellung zurück und seine utopischen Forderungen nach einem wieder auferstandenen islamischen Kalifat, aber viele ihrer Menschen, vor allem unter den Jüngeren, unterstützten seine Aufrufe zu Revolutionen, um die Region von den brutalen Diktaturen zu befreien, die die Stiefel des Westens leckten, korrupt waren und die Sache der Palästinenser verrieten. Das trifft etwa ganz und gar auf Hosni Mubaraks Ägypten zu.  

Osama bin Laden lebte lange genug, um zu sehen, wie die Revolutionen, bei deren Entzündung unter den jungen Leuten er mitgeholfen hatte, in turmhohe Flammen ausbrachen. In diesem Sinn wird der bin-Ladenismus prosperieren und sich ausbreiten, aufgewertet durch das Bild des Martyrers Osama.  

Der saudiarabische Revolutionär hinterlässt noch ein anderes Erbe. Wiederholt erklärte er, dass der einzige Weg, die Vereinigten Staaten von Amerika aus der muslimischen Welt zu vertreiben und deren Satrapen zu besiegen darin bestehe, die Vereinigten Staaten von Amerika in eine Serie von kleinen, aber teuren Kriegen hineinzuziehen, die sie endgültig in den Bankrott treiben würden. Die Vereinigten Staaten von Amerika unter Präsident George W. Bush und dann Barack Obama drängten sich dann auch in bin Ladens sorgfältig gelegte Falle.  

Heute geben die nahezu bankrotten Vereinigten Staaten von Amerika hunderte Milliarden im Jahr aus für kleine Kriege in Afghanistan, Irak, Somalia, Jemen und in der Sahara. Grotesk aufgeblasene Militärausgaben und die Abhängigkeit von Schulden richten die Vereinigten Staaten von Amerika zugrunde. Da wird der Geist bin Ladens wohl lächeln ...

 
     
  erschienen am 2. Mai auf > ericmargolis.com  
  Die Weiterverbreitung der Texte auf dieser Website ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen!  
  <<< Inhalt