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  Hängt Gaddafi!

Eric Margolis 

Das Kriegsfieber gegen Libyen hat die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada gepackt. Nach einer Pause von neun Jahren, in denen er ein nützlicher Verbündeter des Westens war, ist Colonel Muammar Gaddafi wieder einmal der Mann, den wir hassen. 

„Auf gegen Libyen! Nieder mit dem Tyrannen von Tripoli!“ Das ist das neueste Kriegsgeschrei und Schlachtengeheul von Nordamerikas Rechten, Medien und dem neokonservativen Lynchmob. Einmal mehr ist der Krieg gegen ein kleines, fast wehrloses Land im Gespräch, das kaum ernsthaft zurückschlagen kann.

Die Rechte vermeint in Libyens derzeitigem Bürgerkrieg eine goldene Gelegenheit zu erkennen, den ungeliebten Muammar Gaddafi loszuwerden, das hochwertige libysche Erdöl zu „befreien“ und die Welle von Aufständen in den Griff zu bekommen, die derzeit in der arabischen Welt aufflammen.

Dieses gleiche Lied haben wir bereits hinsichtlich des Irak gehört:

ein böser Diktator, der sein Volk unterdrückt, Meere voller Erdöl, Arsenale voller gefährlicher Waffen. 

Präsident Obama nähert sich einer Entscheidung, Libyen anzugreifen und Flugverbotszonen einzuführen. Amphibische Einheiten der Marine der Vereinigten Staaten von Amerika nähern sich der Küste Libyens.  

Die Führer der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und Deutschlands, die gerne mit Gaddafi gefüßelt, sein Geld genommen und sein Premium-Erdöl gekauft haben, stellen ihn plötzlich als ein Ungeheuer hin. Die Scheinheiligkeit betreffend den ehemaligen Verbündeten Libyen reicht aus, die sechste Flotte der Vereinigten Staaten von Amerika zu floaten.  

Eine Invasion Libyens durch die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Kanada würde verkauft als humanitäre Mission, um libysche Zivilisten vor angeblichen mörderischen Luftangriffen seitens Gaddafis völlig ungeeigneter Luftwaffe zu retten. 

Nicht erwähnt werden jedenfalls die 65 afghanischen Zivilisten, die vor kurzem durch einen Luftangriff der Vereinigten Staaten von Amerika getötet wurden, oder die neun afghanischen Buben, die beim Brennholzsammeln an einem Berghang von Kampfhelikoptern der Vereinigten Staaten von Amerika in der letzten Woche getötet wurden. Genauso wenig die immer wieder durchgeführten Luftangriffe der Vereinigten Staaten von Amerika gegen Pakistan, Somalia und Jemen, die große Zahlen von Zivilisten getötet haben. Wenn wir das tun, heißt es „Kollateralschaden“. 

Es gibt Berichte über Spezialkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und vielleicht Kanadas im Osten Libyens, welche irreguläre anti-Gaddafi-Kräfte ausbilden, bewaffnen und sogar mit ihnen kämpfen. Einen Aufstand zu schüren, dann nach Hilfe von außen zu rufen ist wohl der älteste Trick.  

Die Stämme im Osten Libyens und die Stadt Benghazi waren immer schon gegen Gaddafi eingestellt. Der Geheimdienst Ihrer Majestät MI6 ist schon lange in dieser Region aktiv. Ein bedeutender Versuch des Vereinigten Königreichs, Gaddafi zu ermorden, wurde in Benghazi vorbereitet. 

Libyen ist sehr brüchig und scheint an den Säumen zu zerfallen. Es wurde erst 1951 zu einem Einheitsstaat, nachdem seine drei unabhängigen Regionen Tripolitania, Cyrenaica und Fezzan vereinigt wurden. Regionaler und stammesbedingter Bürgerkrieg bricht jetzt aus, und auf das Erdöl gierige ausländische Mächte kreisen um Libyen, wie Colonel Gaddafi warnte. Libyen könnte ebenso aufgesplittert enden wie Irak und Afghanistan. 

Nachdem sie nichts aus Amerikas Billionen-Dollar-Fiaskos in Afghanistan und Irak gerlernt haben, sind Washingtons nationale Sicherheitskreise (so nennt man in Amerika diejenigen, die in Großbritannien als „Imperialisten” bezeichnet wurden) scharf darauf, in Libyen einzumarschieren. Pläne, den Iran und/oder Pakistan anzugreifen, wurden aufgeschoben. Libyens Schätze an Erdöl sind zu gut, um sie sich entgehen zu lassen.   

Immerhin lassen sich in Washington noch einige Stimmen der Vernunft hören. Der fähige Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika Robert Gates sprach sich entschieden gegen eine Flugverbotszone und/oder Bodeninvasion in Libyen aus und warnte, dass die Vereinigten Staaten von Amerika einen dritten größeren Krieg weder riskieren noch sich leisten können, nachdem 40% jedes von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ausgegebenen Dollars von China oder Japan geborgt sind. 

Nicht so in Kanada, das neuerdings infiziert ist vom Virus des Neoimperialismus, seit es seine eigene kleine Kolonie in Kandahar in Afghanistan betreibt. Sein Premierminister, der den Eindruck erweckt, als täte ihm leid, nicht beim Irakkrieg dabei zu sein, schlägt nun die Kriegstrommel gegen Libyen. 

Der ehemalige Chef der CIA Gates hat ganz recht. Eine Flugverbotszone würde die Vereinigten Staaten von Amerika bald in einen Bodenkampf verwickeln und mitten in einen verwirrenden Stammeskonflikt ziehen, den niemand in Washington durchblickt. Genau das passierte in Afghanistan, wo sich Amerika mitten in einem Bürgerkrieg zwischen seinen kommunistisch dominierten tadschikischen/usbekischen Alliierten und der Mehrheit der Paschtunen fand.  

Das angenommene „Kinderspiel“ im Irak erwies sich als Sumpf, der 50.000 Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika bindet, von denen jeder $ 1 Million jährlich kostet. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden immer tiefer verstrickt in Konflikte in Somalia, Jemen, an der pakistanischen Nordwestgrenze und seit neuestem Djibouti. Könnte Libyen vielleicht der Strohhalm sein, der den Rücken des Kamels bricht? 

Vielleicht. Vielleicht nicht. Ein Angriff gegen den Iran wäre das sicher. Derzeit kann Teheran allerdings aufatmen, dank Colonel Gaddafi. 

Einer, der dieses Schauspiel genießen muss, ist der schwer fassbare Osama bin Laden (wenn man davon ausgeht, dass er am Leben ist). Bin Ladens höchstes Ziel war der Sturz der von den Vereinigten Staaten von Amerika gestützten autokratischen Regimes in der muslimischen Welt. Angriffe auf westliche Ziele waren nur zweitrangig.  

Colonel Gaddafi lag nicht ganz daneben, als er al-Qaida die Schuld an dem Aufstand in Libyen gab. Bin Laden zog nicht die Fäden der libyschen Rebellion, aber al-Qaidas revolutionäre Philosophie und antiwestlicher Kampf haben sicher viele junge Menschen von Marokko bis Bangladesh inspiriert.  

Das ist Washingtons großes Problem. Ein Einmarsch in Libyen wird die Feuer anheizen, die in der arabischen Welt brennen und einen weiteren antiwestlichen Jihad schaffen. Interessanterweise ist das exakt die Strategie Osama bin Ladens: die Vereinigten Staaten von Amerika in viele kleine Kriege in der muslimischen Welt hineinziehen und auf diese Weise ausbluten. Bis jetzt haben die Vereinigten Staaten von Amerika mit Osamas Generalplan kooperiert. 

 
     
  erschienen am 4. März 2011 auf > ericmargolis.com   
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