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  Nassers Geist

Eric S. Margolis

„Der König ist tot!,” wie die Franzosen sagen, „lang lebe der König!“

Wird das auch in Ägypten so sein, wo ein Monarch, der hinausgeworfene Mubarak, durch einen anderen General ersetzt werden wird oder durch eine Militärjunta unter Führung von Feldmarschall Tantawi?

Das ist es wohl, was die Ägypter bekommen werden. Die neue Militärjunta gab gerade bekannt, sie werde das von Anwar Sadat unterzeichnete zusammengemurkste israelisch-ägyptische Friedensabkommen unterstützen und irgendwann in der Zukunft Wahlen veranstalten. Das ist nicht, was die Ägypter wollen oder verdienen.

Um eine Möglichkeit dessen zu erkennen, was sich entwickeln könnte, wollen wir zurück in den arabisch-israelischen Krieg 1947-48 blicken. Eine Gruppe junger ägyptischer Armeeoffiziere, die in Sinai kämpften, fanden sich in der Falluja-Senke von israelischen Kräften umzingelt. 

Die ägyptischen Soldaten hatten tapfer gekämpft, um die Palästinenser zu verteidigen, aber ihre Ausstattung war nichts wert und ihre höheren Generäle korrupt.

Das Geld für den Ankauf von Panzern und Artillerie wurde von hochrangigen Generälen gestohlen. Handgranaten und Gewehre, die eilig in Italien gekauft wurden, waren von jüdischen Agenten sabotiert. Die Granaten explodierten, sobald der Sicherungsstift gezogen wurde, die Gewehre feuerten nach hinten in das Gesicht ihres Benutzers.

Die eingekesselten Offiziere, die höchsten unter ihnen im Rang eines Obersten, gelobten die weit verbreitete Korruption in ihrem Land zu beseitigen und sein königliches Regime zu verjagen. Im Jahr 1952 schlugen sie zu, vertrieben die britische Marionette König Faruk und proklamierten eine neue Entwicklung für Ägypten.

Ich traf den armen, traurigen König Faruk 1958 in Genf. Er sprach mit mir über seine Liebe für Ägypten und lobte sogar den Anführer des Staatsstreichs, der ihn stürzte, Oberst Gamal Abdel Nasser. 

Oberst Nasser und seine Offizierskollegen – darunter sein Nachfolger Anwar Sadat – waren die ersten Ägypter seit den Tagen Alexanders des Großen, die Ägypten regierten. Der feurige charismatische Nasser elektrifizierte Ägypten (buchstäblich und im übertragenen Sinne) und machte es zu einem führenden Land der Dritten Welt. Ägypten nahm wieder seine traditionelle Rolle als politischer, militärischer, kultureller und intellektueller Schrittmacher für die arabische Welt ein. 

Mit dieser zentralen Rolle war es schnell vorbei, als zunächst Anwar Sadat und dann General Hosni Mubarak die Macht übernahmen. Beide waren von den Amerikanern ausgesucht worden, Sadat laut Berichten bereits 1952. Unter ihrer Herrschaft wurde Ägypten zu einem Gebiet des Stillstands, verlor seine frühere Führungsrolle, Einfluss und Image.

Präsident Nasser wurde von den meisten Ägyptern bewundert wegen seines einfachen Lebenswandels, seiner Liebe für das Land, seiner schroffen Erscheinung und machtvollen Männlichkeit. Meine Mutter, eine Journalistin und Mittelostexpertin, interviewte beide, Nasser und Sadat. Wie immer scharfzüngig und direkt, sagte sie mir, Nasser sei „ein richtiger Mann, mit Schneid und einem wahren Herzen.“ Sadat tat sie als einen „Clown“ ab.

Ich lebte in Ägypten im Jahr 1957 und kann mich an aufgewühlte Menschenmassen erinnern, die “Ya Gamal! Ya Gamal!“ skandierten. Ein Jahr davor hatte Nasser den Suezkanal verstaatlicht und Angriffen seitens Israels, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs standgehalten. Für die Ägypter war er einfach der „Rais,“ der Boss.

Nasser machte viele schwerwiegende Fehler. Sein großes Herz ging letztlich an Überarbeitung und Kettenrauchen zugrunde. Sadat wurde schnell von Washington an die Macht gehievt. Der gleiche Prozess spielte sich ab, nachdem Sadat ermordet worden war.

Während ich die langsam verlaufende ägyptische Revolution beobachte, frage ich mich, ob sich irgendwo in den 465.000 Mann starken Streitkräften wieder ein junger Oberst befindet, der sein Volk mehr liebt als Besitztümer.

Ägyptens führende Generäle gehören zur herrschenden Schicht. Viele verbringen mehr Zeit mit ihren Geschäften als mit militärischen Angelegenheiten.

Wie in Pakistan steckt Ägyptens Armee bis zu den Helmen im großen Geschäft: Einkaufszentren, Tourismus, Eigentum, Hotels, Stahl, Telekom. Wenige unter den ägyptischen Militärführern sind an einer Änderung des Status Quo interessiert, der ihre Pfründe einschränken würde.  

Die Vereinigten Staaten von Amerika zahlen dem ägyptischen Militär $ 1,4 Milliarden im Jahr, damit es Israel in Ruhe lässt. Das ist ein Haufen Geld in einem armen Land.

Ägyptens jüngere Offiziere müssen über das Beispiel Gamal Abdel Nassers nachdenken. Vielleicht gibt es da einen jungen Oberst oder Major, der versuchen könnte, die Macht zu ergreifen und den „Rais“ wieder zum Leben zu erwecken.

Wenn sich die Ägypter durch den Machtwechsel in Kairo betrogen fühlen, was bei vielen der Fall sein wird, und gewalttätige Demonstrationen beginnen, was wird dann passieren, wenn die Militärregierung einem Bataillon unter dem Befehl eines Obersten den Befehl erteilt, auf die Demonstranten zu schießen?

Der erste junge Offizier, der sich weigert und seinen Männern befiehlt, sich auf die Seite der Demonstranten zu stellen, wird Ägyptens neuer Held sein. Nassers Geist schwebt über Kairo.

 
     
  erschienen am 12. Februar 2011 auf > ericmargolis.com   
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