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  Lebt wohl, Grundrechte

Philip Giraldi 

Diejenigen, die geglaubt haben, dass der vom Kandidaten Obama versprochene Wechsel die Rücknahme der verschiedenen Maßnahmen einschließen werde, die die verfassungsmäßigen Rechte der Amerikaner eingeschränkt haben, sollten enttäuscht sein. „Wer grundlegende Freiheit aufgibt, um ein bisschen zeitweilige Sicherheit zu bekommen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.“ Dieses Zitat stimmt vielleicht nicht, zumindest seine Zuschreibung an Franklin, aber es beschreibt recht gut den unglücklichen Verlust vieler der von der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika garantierten Freiheiten in der Folge des 9/11. Das Trauma des 9/11 schuf eine Gelegenheit für diejenigen, die auf eine Zentralisierung der exekutiven Macht aus waren, ein Ziel der letzten Präsidenten von beiden Parteien. Viele Amerikaner akzeptierten anfänglich eine gewisse Einschränkung fundamentaler Freiheiten in der Folge eines Kampfes gegen einen facettenreichen und unkonventionellen Terrorismus, aber nur wenige bekommen mit, wie viele der verfassungsmäßigen Grundrechte, die alle Bürger für selbstverständlich halten, ausgehöhlt worden sind. Die Geschichte lehrt uns, dass ein Recht, das aufgegeben worden ist, für alle Zeiten dahin ist.  

Der „Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act” („Gesetz zur Einigung und Stärkung Amerikas durch die Zurverfügungstellung geeigneter Maßnahmen, um Terrorismus abzufangen und zu unterbinden”) aus dem Jahr 2001 kann treffend beschrieben werden als einer der eher spektakulären Euphemismen für die Demontage einer Verfassung, ähnlich Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ nach dem Reichstagsbrand 1933. Das Gesetz ist besser bekannt unter dem Namen PATRIOT Act I. PATRIOT Act I trat in Kraft sechs Wochen nach dem Einsturz der Twin Towers und wurde gefolgt von PATRIOT Act II im Jahr 2006. Gemeinsam schränken die beiden Gesetze konstitutionelle Freiheiten ein wie Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Schutz vor ungesetzmäßiger Durchsuchung, Recht auf Habeas Corpus (Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit), Schutz vor grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung und Verbot der Beschlagnahme persönlichen Besitzes. Der Erste, Vierte, Fünfte, Sechste und Achte Verfassungszusatz wurden gestrichen oder eingeschränkt in der Eile, die Untersuchung, Folterung oder Inhaftierung sowohl ausländischer als auch amerikanischer Staatsbürger zu erleichtern. Der PATRIOT Act beinhaltet auch den Financial Anti-Terrorism Act vom 17. Oktober 2001, der das Einfrieren von Vermögen und die Untersuchung von Personen erlaubt, die verdächtigt werden, den Terrorismus finanziell zu unterstützen. „Verdächtigt“ ist das Schlüsselwort, wobei für dieses Verfahren weder (gerichtliche) Aufsicht noch Berufungsmöglichkeit vorgesehen sind.    

Der Military Commission Act (MCA) 2006 folgte den PATRIOT Acts und schuf Militärgerichte für Verhandlungen gegen „ungesetzliche feindliche Kämpfer“ einschließlich amerikanischer Staatsbürger. Im Gegensatz zu einem Zivil- oder Strafgericht bedarf es nur zwei Drittel der Stimmen der Kommissionsmitglieder, um einen Angeklagten zu verurteilen. Dieses Gesetz erlaubt die unbefristete Anhaltung von Verdächtigen in einem Militärgefängnis ohne Anklage wegen eines Verbrechens und ohne die Möglichkeit des Kontakts zu einem Rechtsbeistand. Die Regierung braucht keinerlei normal annehmbaren Beweis bei einer Anhörung durch eine Kommission vorzulegen und kann sich auf Gerüchte oder sogar auf Informationen stützen, die im Ausland durch Folter beschafft worden sind, um ihr Verfahren abzuwickeln. Die Gefangenen haben keinen Zugang zu geheimen Informationen, die gegen sie verwendet werden und können die Zeugen nicht befragen, ja dürfen deren Identität nicht einmal kennen lernen. Der MCA hebt den Schutz der persönlichen Freiheit für jeden Beschuldigten auf und verbietet die Anwendung der Genfer Konvention, um die Haftbedingungen zu entschärfen oder Verfahren oder Verurteilung anzufechten. Die Genfer Konvention kann auch nicht angerufen werden, wenn der Beschuldigte in der Folge behauptet, er sei gefoltert oder anderweitig misshandelt worden, um übereifrige Vernehmungsbeamte vor späteren Anklagen wegen „Kriegsverbrechen“ zu beschützen. Das Gesetz wurde so gestaltet, dass es alle laufenden Verfahren umfasste, also rückwirkend.    

Eine nach wie vor geltende Regierungsverordnung von 17. Juli 2007 ermächtigte den Präsidenten, den Besitz eines jeden zu beschlagnahmen, der die „Stabilisierungsmaßnahmen im Irak gefährdet.“ Nachdem das Justizressort der Regierung entscheidet, was „Gefährdung der Stabilisierungsmaßnahmen“ bedeutet, kann diese Verordnung gegen jeden Kritiker der Regierung eingesetzt werden. Besonders beunruhigend ist, dass diese Verordnung keine Anfechtung der Information vorsieht, auf der die Beschlagnahme beruht, und weiters die Beschlagnahme des Besitzes eines jeden gestattet, der dem verdächtigten Stabilisierungsgefährder zu Hilfe kommt.

Die Bedrohung der bürgerlichen Freiheiten besteht wirklich. In Anwendung des PATRIOT Act beantragte das FBI über 30.000 Vollmachten im Jahr 2007, wobei die Zahl im Jahr 2008 sicher höher lag. Die Vollmachten erlauben es dem FBI, jedermanns persönliche Daten ohne gerichtliche Aufsicht oder Begründung einzusehen. Jeder, der mittels einer derartigen Vollmacht zur Zusammenarbeit genötigt wird, Informationen gegen einen Betroffenen zu beschaffen, darf nicht bekannt geben, dass er eine solche Vollmacht vorgelegt bekommen hat. Gibt es 30.000 Terroristen, die die Vereinigten Staaten von Amerika unsicher machen? Wäre das der Fall, läge das Land jetzt bereits in Schutt und Asche. Statt dessen benutzt die Regierung diese Vollmachten und die anderen Mittel, die der PATRIOT Act bereit stellt, um Menschen, die völlig unschuldig sind, zu überwachen, da das sehr einfach geht und man sich nicht darum zu kümmern braucht, von einem Richter einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen.

Als Senator trat Barack Obama gegen den MCA auf und stimmte dagegen. Er war nicht im Senat, als der erste PATRIOT Act verabschiedet wurde, aber er kritisierte die Version zwei wegen der Verletzung bürgerlicher Freiheiten, ehe er für eine überarbeitete Version stimmte. Während seiner Kandidatur führte Obama seine Opposition gegen verschiedene Gesetze ins Spiel und wies immer wieder darauf hin, dass diese die Rechte jedes Amerikaners eingeschränkt hätten. Leider scheint der Präsident Obama die prinzipienfesten Positionen vergessen zu haben, die er als Senator und Präsidentschaftskandidat vertreten hat. Gleich nach seiner Inauguration verbot er schnell öffentlich den Gebrauch von Folter durch die CIA, eine bedeutungslose Geste, da diese Agentur diese Methode bereits aufgegeben hatte, es sieht aber jetzt so aus, als würde er gar nichts unternehmen, um die Gesetze der Bush-Ära wie z.B. den MCA rückgängig zu machen, die er seinerzeit so kritisiert hat. Es weist im Gegenteil alles darauf hin, als würde er die Erneuerung des PATRIOT Act befürworten, der mit Ende des Jahres ausläuft, aus Angst, dass wenn er das nicht macht und ein terroristischen Angriff stattfindet, er einen bedeutenden politischen Preis dafür bezahlen muss. Die Regierung Obama hat sich auch ausgeschwiegen über die Methode des unbefugten Abhörens der NSA (National Security Agency – Nationale SicherheitsAgentur) und sich auf das „Privileg des Staatsgeheimnisses“ berufen in einem Rechtstreit mit der islamischen Wohltätigkeitsorganisation al-Haramain, in einem offensichtlichen Versuch, die Offenlegung des unbefugten Abhörens zu verhindern. 

Präsident Obama widerspricht nicht nur den fortschrittlichen Versprechen seines Wahlkampfs und betrügt viele der Menschen, die für ihn gestimmt haben. Als Jurist versteht er sicher, dass die Beibehaltung des zweifelhaften „Rechts“ der Regierung, Bürger völlig zu überwachen, die Rechtsstaatlichkeit völlig untergräbt, da dieses sicher stellt, dass niemand zur Verantwortung gezogen werden kann. Zur Zeit haben nicht einmal Richter, die mit solchen Staatsgeheimnis-Angelegenheiten befasst sind, Zugang zu der angeblich geheimen Information, was bedeutet, dass es keinerlei Klarheit in einem Verfahren gibt, in dem die Regierung ein gesetzlich nicht vorgesehenes Privileg in Anspruch nimmt, das ganz sicher gegen die Verfassung verstößt.

Wenn die Regierung Obama zu klingen beginnt wie das Weiße Haus unter Bush, soll sie nur. Jedenfalls verlässt sich der neue Präsident auf den Rat vieler Überbleibsel der Bush-Regierung wie z.B. FBI-Direktor Robert Mueller. Mueller behauptet, ohne irgendeinen Beweis dafür vorzulegen, dass die Möglichkeiten des PATRIOT Acts wirkungsvoll Terrorismus verhindert haben, gerade wie die Geheimdienstchefs der Bush-Ära behauptet haben, dass Folter und außergewöhnliche Auslieferung unabdingbar notwenig waren, um der terroristischen Gefahr zu begegnen. Alle diese Behauptungen sollten mit äußerster Skepsis betrachtet werden, zumal sie nur selten durch irgendwelche Beweise gestützt werden können. Die Regierung lügt auch in vielen Fällen, in denen sie sie sich auf illegale Aktionen stützen will. Behauptungen aus dem Jahr 2008, wonach die Wasserfolter („Waterboarding“) bei Abu Zubaida eine Flut von Informationen ergeben hätte, die terroristische Verschwörungen vereitelt hätten, haben sich jetzt als falsch herausgestellt. Zubaida hat seine Vernehmungsbeamten verwirrt und sie auf wilde Untersuchungsjagden geschickt mit Informationen, die entweder bewusst irreführend oder ganz einfach falsch waren. In Wahrheit kann die Regierung keinen einzigen Fall anführen, in dem der Einsatz der drakonischen neuen Gesetze oder von illegalen Vorgangsweisen wie Folter entweder einem terroristischen Angriff vorgebeugt oder zur Verhaftung von irgend jemandem geführt hat, der bereit, gewillt und fähig war, einen solchen auszuführen.

Obama wäre besser beraten gewesen, die Experten zu ignorieren, sich zurückzulehnen und die Sachlage zu überdenken. Macht die Einrichtung eines monströsen Departments of Homeland Security (Amt für Sicherheit im Heimatland), das von einem aufgeblähten Verteidigungs- und Geheimdienst-Establishment unterstützt wird, wirklich Sinn angesichts der Bedrohungen, denen die Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich ausgesetzt sind? Wie sind wir zu einer Liste von 400.000 Menschen gekommen, die nicht fliegen dürfen, und zu einer NSA, die hunderte Millionen von Telefonaten abgehört hat, ohne eine Spur von Kontrolle? Dass eine kleine Gruppe Terroristen in einer Höhle in einem abgeschiedenen und rückständigen Teil der Erde mit dem Schlag vom 9/11 Glück gegen ein argloses Amerika hatte, ist klar, aber die Aussichten, diesen spektakulären Schlag noch einmal zu wiederholen, sind minimal. Nach über sieben Jahren sollte die tatsächliche Schwäche des internationalen Terrorismus völlig klar sein und die Regierung sollte den Menschen die gute Nachricht weitergeben, dass al-Qaeda aus dem letzten Loch pfeift und dass die anderen salafistischen Terroristengruppen mit ähnlicher Philosophie rund um die Welt gehetzt und umkreist worden sind. Es hat keine erfolgreichen terroristischen Angriffe innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika mehr gegeben und der Anreiz des jihadistischen Terrorismus ist überall im Schwinden. Seine Zeit ist vorbei.  

Ungeachtet der verringerten Bedrohung geht das Geschäft mit der Terrorismusbekämpfung unter Obama weiter - mit einem Wechsel der Rhetorik, aber nicht der Politik, gestützt auf ein gesteigertes Militärbudget, um den Jubel auf Afghanistan auszudehnen und höheren Ausgaben für die Geheimdienste. Und kein Anzeichen spricht dafür, dass die Freiheiten, die die Amerikaner verschachert haben, zurückgegeben werden sollen. Eine gesichtslose fremde Bedrohung herumhängen zu haben ist immer gut für die Politik, da diese benützt werden kann, um die Aufmerksamkeit von ernsteren Problemen im eigenen Land abzulenken. Hat man die Möglichkeiten bei der Hand, gegen einen amerikanischen Bürger zu ermitteln, kann das auch nützlich sein, wenn die Kritik zu laut wird. Diejenigen, die befürchtet haben, dass George W. Bush seinen Nachfolgern verfassungswidrige Werkzeuge hinterlassen werde, die diese nur widerwillig aufgeben werden, haben offensichtlich recht gehabt. 

     
  erschienen auf www.antiwar.com am 7. April 2009 > http://original.antiwar.com/giraldi/2009/04/06/goodbye-bill-of-rights/  
     
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