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  Die Nation, die früher als Jugoslawien bekannt war

Zehn Jahre danach

Justin Raimondo

Am Dienstag war der zehnte Jahrestag der Bombardierung der Nation, die früher unter dem Namen Jugoslawien bekannt war – ein Akt der Aggression, der Amerikas Amoklauf nach dem 9/11 ankündigte und die Bühne für unseren endlosen „Krieg gegen den Terrorismus“ in weit größerem Ausmaß bereitete als anfänglich absehbar. 

Der Krieg gegen Jugoslawien stützte sich wie der Krieg gegen den Irak auf eine Lüge: dass etwa 100.000 Kosovaren und andere entweder getötet oder „ethnisch gesäubert“ worden wären und dass das von der militärischen und politischen Führung Jugoslawiens bewusst geplant worden sei. Die Zahl 100.000 wurde immer wieder im Zuge der Vorbereitung der Bombardierungen verwendet und „Stop dem Völkermord“ war der Schlachtruf der Kriegspartei – einem seltsamen Haufen, bestehend aus den üblichen Neokonservativen und der liberalen Linken. Die zugkräftige Front Bill Kristol – Susan Sontag fand große Unterstützung durch die persönliche Intevention Hillary Clintons, die ihren Gatten, damals Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, dazu drängte, mit der U.S.-Attacke zu beginnen.    

Was allerdings in Wirklichkeit stattfand war kein Völkermord, sondern die chaotische Brutalität eines typischen Bürgerkrieges, und die Zahl 100.000 ist sehr weit von der Wahrheit entfernt. Diese Zahl hielt nicht lange und wurde nachträglich einige Male nach unten revidiert: 50.000, 25.000, 10.000. Die endgültige Zahl der Toten: weniger als 8.000 auf beiden Seiten, militärische wie zivile Opfer zusammen genommen. Das ist schlimm, aber es ist schwerlich ein Völkermord.

Dennoch glauben viele Menschen das Märchen von jugoslawischen “Völkermord” bis zum heutigen Tag, genauso wie ein großer Teil der Amerikaner noch immer glaubt, dass Saddam Hussein für die terroristischen Attacken des 11. September 2001 verantwortlich war. Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden, bis sie im öffentlichen Bewusstsein als „Wahrheit“ verankert ist – das ist der erste Leitsatz im Handbuch für den guten Kriegspropagandisten. Sicher hatte die Kriegspartei ein erstklassiges Team von Lügnern, die rund um die Uhr die Menschen in Amerika bearbeiteten und ununterbrochen Falschinformationen verbreiteten, als Kampfflugzeuge der Vereinigten Staaten von Amerika eine der ältesten Städte Europas aus 6.000 Meter Höhe bombardierten – ein Akt der Feigheit, der die schiere Käuflichkeit derjenigen betonte, die den Konflikt begonnen hatten. Wir zogen in diesen Krieg ohne Zustimmung der UNO auf das Geheiß einer heimischen Lobby mit dubiosen Absichten, die direkt den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika zuwider liefen und dennoch bis zum Ende verfolgt wurden, mit katastrophalen Konsequenzen für alle Beteiligten. Klingt das etwa bekannt? 

Der große neokonservative Stratege Bill Kristol verkündete im Weekly Standard, wir sollten die “serbischen Schädel zerschmettern.” Er drohte damit, aus der „isolationistischen“ republikanischen Partei auszutreten, die im Kongress gegen die Kriegsfinanzierung auftrat. Mittlerweile stellten die Demokraten den Patriotismus der Kritiker an dem Krieg in Frage und verlangten, die Nation müsse hinter einem „Kriegspräsidenten“ stehen. Der irgendwie unglückselige Slobodan Milosevic wurde als Reinkarnation Hitlers dargestellt, gerade wie Saddam Hussein Jahre darauf zum Despoten hochstilisiert wurde, dessen Bösartigkeit hitlerianische Dimensionen erreichte.

Die Geschichte wiederholt sich: das erste Mal als Tragödie, und in diesem Fall das zweite Mal als noch größere Tragödie – mit Aussichten auf mehr, was auf uns zukommt.

In der ehemaligen Provinz Kosovo drehte sich die ethnische Säuberung, die angeblich stattgefunden hatte –Serben warfen die albanischen Kosovaren hinaus – in die Gegenrichtung, und die wenigen verbliebenen serbischen Einwohner klammern sich hartnäckig an ihre Enklaven im Norden, wenn auch in stark reduzierter Anzahl. Nahezu die gesamte serbische Bevölkerung wurde nach Serbien vertrieben nach einem Regime des Terrors, in dem Kirchen niedergebrannt und Menschen einfach ermordet wurden. All das fand statt unter den Nasen von NATO/U.S.-Militär, die dabei standen und schweigend die Vergewaltigung von dem ermutigten, was für viele Serben der Entstehungsort ihrer Nation ist.

Zu diesem Jahrestag der Schande scheint recht gut die Nachricht zu passen, dass Richard Holbrooke dem angeblichen serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic versprochen hat, er würde in Ruhe gelassen werden, wenn er sich aus der Politik zurückziehe und alle Bemühungen aufgebe, das Überleben der Republika Srpska im heutigen Bosnien zu sichern. Laut Charles W. Ingrao, dem Mitverfasser einer Studie über die Intervention auf dem Balkan, die von der Universität Purdue veröffentlicht worden ist, weiß ein Trio von noch immer tätigen bzw. pensionierten höheren Beamten im Außenministerium direkt von Holbrookes Versprechen. 

Während Milosevic dem Theater eines Gerichtsverfahrens unterzogen und die Urheber der anti-serbischen Säuberungskampagne sich zum Herrn über den Kosovo aufschwangen, war Karadzic untergetaucht. Über zehn Jahre lang verkleidete er sich als Gesundheitsexperte und Ganzheitsmediziner, lebte unter einem Pseudonym und einem buschigen Bart und betrieb seine Praxis in Belgrad und Wien als Dr. Dragan David Dabi. Seine Verhaftung in Belgrad lässt das Thema Kosovokrieg wieder einmal aktuell werden.

Der zehnte Jahrestag der Bombardierung wurde vom „Präsidenten” Kosovos und beschuldigten Kriegsverbrecher Hacim Thaci als „großer historischer Tag“ bejubelt. Liberale der Clinton-Linie und Neokonservative stimmen dem zu.

Holbrooke wurde vor kurzem zum höchsten Diplomaten und Sonderbotschafter für die „Afpak” (Afghanistan/Pakistan) – Front bestellt, die das Obama-Team immer als „zentrale Front” in unserem ewigen Krieg gegen den Terrorismus bezeichnet hat. Die Purdue-Studie und weitere Enthüllungen in einem Artikel der New York Times untergraben seine Glaubwürdigkeit zu einem entscheidenden Zeitpunkt.

Wie man sich erinnern wird war es Holbrooke, der die Schlüsselrolle des diplomatischen Schiedsrichters während der Aggression auf dem Balkan spielte, der auf der völligen Unterwerfung der serbischen Minderheiten in Bosnien und Kosovo beharrte und den Dayton-Vertrag verfasste, im Endeffekt der Vollstreckungsbefehl für das ehemalige Jugoslawien und Beginn der Re-Balkanisierung der Region. Der richtige Mann für den Job, Chaos in den Stammesregionen in und rund um Pakistan zu säen.

Klugerweise weigerte sich Holbrooke, sein Versprechen schriftlich zu geben, dennoch gibt es offenbar genügend Beweise, dass ein derartiges Abkommen getroffen worden war – und dass es zur Verhaftung Karadzics und zum nachfolgenden Verfahren gekommen ist, weil er seinen Teil der Vereinbarung nicht eingehalten hat. Die New York Times berichtet über die Aussage eines Amerikaners, der im Rahmen der Friedensbemühungen in der Region tätig war und mit Holbrooke am Abend der bosnischen Wahlen im Jahr 2000 sprach:

„‚Holbrooke ärgerte sich; er schimpfte,’ erinnerte sich der Amerikaner. Er zitierte Holbrooke mit folgenden Worten: ‚Dieser Hundesohn Karadzic. Ich habe mit ihm vereinbart, dass wir ihn in Ruhe lassen würden, wenn er sich aus der Politik zurückzieht. Diese Abmachung hat er gebrochen und jetzt werden wir sehen, dass wir ihn kriegen.’“

Jetzt haben sie ihn gekriegt, aber können die Existenz dieser Vereinbarung nicht zugeben, genauso wie sie auch die Vereinbarung zwischen George Herbert Walker Bush und Michail Gorbatschov anlässlich des Falles der Berliner Mauer nicht zugeben können. Gorbatschov ließ Ostdeutschland unter der Bedingung gehen, dass die NATO nicht nach Osten vordringt – und Bush I. unterschrieb. Heute steht die NATO an der russischen Grenze und die amerikanische „Raketenabwehr“ in Polen und in der Tschechischen Republik lassen den Kreml direkt in den Gewehrlauf schauen. Sobald es um Beziehungen mit den Slawen geht, wird kein Abkommen von den Amerikanern ernst genommen. Das betrifft auch das INF-Abkommen (betreffend nukleare Mittelstreckenraketen), das von Reagan unterzeichnet und von dessen Nachfolgern bis heute gebrochen worden ist, wo uns wieder ein neues Wettrüsten und die Aussicht auf einen neuen Kalten Krieg ins Haus stehen. 

Der Kosovokonflikt war in vielfacher Beziehung die Generalprobe für die massiven militärischen Interventionen der Vereinigten Staaten von Amerika nach 9/11. Die Kosovo Befreiungsarmee (KLA) ist nur die Balkan-Version des Irakischen Nationalkongresses (INC) – eine amerikanisch finanzierte und bewaffnete Exilantengruppe, die Geheiminformationen zweifelhafter Herkunft liefert und einen politischen Vorwand, um der militärischen Aktion der Vereinigten Staaten von Amerika das Deckmäntelchen der Legitimität umzuhängen. Der hauptsächliche Unterschied ist, dass der INC, im Gegensatz zur KLA nie eine wirklich kämpfende Gruppe war und auch keine politische Bedeutung erlangt hat.

Sobald es um den Kosovokrieg geht, können die liberalen Interventionisten, die die außenpolitischen Ränge der Regierung Obama besetzen, wie etwa Holbrooke und Hillary, damit auftrumpfen, dass ihre Version des Imperialismus pragmatischer und effektiver ist – und diesen als „Modell“ dafür anpreisen, was in Afghanistan und Pakistan geplant ist. Bei der neuen Betonung eines „Multilateralismus“ geht es nicht um eine sanftere Vorgangsweise der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern um einen geschickteren und „pragmatischeren“ Militarismus, der ausgehend vom Ansatz eines langfristigen „Nationenaufbaus“ politische und wirtschaftliche Waffen ebenso einsetzt wie Bombenangriffe und Stiefel auf dem Boden. Die Ausdehnung der NATO in die Bereiche Zentralasien und Kaukasus wird diese im Grunde antirussische Kampagne auf eine neue Stufe heben.   

Kosovo ist wie der Irak zerrissen durch ethnische und religiöse Kämpfe, die jeden Augenblick als ausgewachsener Bürgerkrieg auszubrechen drohen, der Serbien ins Spiel bringen könnte und eine prompte Gegenaktion der NATO – man kann raten, auf welcher Seite diese intervenieren wird. Auf diesem Hintergrund könnte sich etwa Obama mit Putin anlegen und sich als harter Bursch aufspielen, während er im Nahen Osten einen diplomatischen Blitz in Richtung Iran loslässt.

In der russischen Frage verspricht die Administration Obama noch kriegerischer und aggressiver zu werden als die Regierung Bush. Im Präsidentschaftswahlkampf forderte Obama die Eingliederung von Georgien und Ukraine in die NATO. John McCains Mahnung im Zuge einer Debatte im Präsidentschaftswahlkampf, dass wir „die Ukraine beobachten“ ist ein Ratschlag, der zu beachten ist.

Das ist ein zivilisatorischer Krieg, dem alle Fraktionen der Kriegspartei zustimmen können, für den das Fundament sicher durch all die antirussischen Tricks und Redereien in den letzten paar Jahren aufbereitet worden ist. Von der Litvinenko-Affäre bis zur „Vergiftung“ Juschtschenkos hat sich der Propagandakrieg gegen den Kreml in den Bereich der Romane verlagert – Schundliteratur, um das Kind beim Namen zu nennen, und daher sehr effektiv.

Der Kosovokrieg war in erster Linie der erste Schuss in einem neuen Kalten Krieg gegen das, wie es ausnahmslos beschrieben wird, „wieder erstehende Russland,“ das heißt ein Russland ohne die Oligarchen und Jelzin, die das Land ausgeplündert und geschwächt haben bis zum völligen Zusammenbruch. In Verbindung mit den unvermeidlichen Anspielungen auf Stalin und überzogenen Anschuldigungen, das Land sei auf dem Weg zurück in den Totalitarismus, waren die Russophoben in den letzten rund zehn Jahren eifrig dabei, einen Krieg der Zivilisationen zu beschwören, nicht gegen den Islam wie in der neokonservativen Version, sondern einen Kampf, in dem der Westen gegen den slawischen Osten antritt, indem er „Befreiungskriege“ von Georgien bis Tschetschenien und darüber hinaus unterstützt. Gerade jetzt stehen die Chancen besser denn je, dass wir uns in einen weiteren dermaßen selbstgerechten und närrischen Kreuzzug hineintheatern lassen.

 
     
  erschienen am 25.3.2009 auf > www.antiwar.com > http://www.antiwar.com/justin/?articleid=14455   
     
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