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  Wie schaffen das die Menschen?

Kathy Kelly

Seit meiner Rückkehr aus Gaza haben mich Leute gefragt, wie die Menschen das schaffen? Wie machen sie weiter, nachdem sie durch Bomben traumatisiert und durch einen totalen Belagerungszustand bestraft worden sind? Ich wundere mich selbst. Ich weiss, dass der Verlust von Leben, egal ob auf der israelischen oder palästinensischen Seite der Grenze, die Überlebenden mit Schmerz und Elend erfüllt. Ich denke, dass auf beiden Seiten der Grenze Kinder von furchtbaren Alpträumen geplagt werden. Die Erwachsenen unterdrücken ihren Schmerz, weinen insgeheim und bemühen sich, wieder den Anschein eines normalen Alltags zu erreichen, um ihren Kindern zu helfen, über diese bedrohliche Situation hinwegzukommen. 

Die Kinder wollen ihren Eltern helfen. Am Morgen des 18. Januar, als es so aussah, als gäbe es zumindest eine Pause bei den Bombenabwürfen, beobachtete ich in Rafah Kinder, die Holzstücke auf Plastikplanen sammelten und diese dann zu ihren Wohnungen schleppten. Die Kleinen schienen stolz darauf zu sein, ihren Eltern dabei zu helfen, die Bombenschäden zu überwinden. Das Gleiche habe ich 2003 im Irak nach dem „Shock and Awe“-Bombardement durch die Vereinigten Staaten von Amerika gesehen, wo die Kinder Ziegel für die Errichtung von Notunterkünften zusammengetragen haben.

Kinder, die Bombardierungen überleben, wollen wieder aufbauen. Sie wissen nicht, wie gefährdet ihr Leben ist, wie bereit Erwachsene sind, sie wieder zu bombardieren.

An diesem Morgen in Rafah stand ein älterer Mann in meiner Nähe und beobachtete auch, wie die Kinder arbeiteten. „Sehen Sie,“ sagte er und blickte nach oben, wo gerade eine israelische Überwachungsdrohne ihre Kreise zog, „wenn ich ein Stück Holz aufklaube, wenn die mich mit einem Stück Holz sehen, könnten sie das für eine Waffe halten und ich werde zum Ziel. So tragen diese Kinder Holz zusammen.“ 

Während die High-Tech-Drohne Informationen sammelte, die dazu dienten, neue Ziel für weitere Bombenangriffe festzulegen, sammelten die kleinen Kinder Holz. Ihre Eltern, deren Wohnungen zum Teil zerstört worden waren, brauchten das Holz zum Heizen und Kochen. Aufgrund der israelischen Blockade gab es in Gaza kein Gas.

Nachdem die Grenze bei Rafah wieder abgeriegelt ist, sind die Menschen, die Lebensmittel, Treibstoff, Wasser, Baubedarf und Gebrauchsgüter für den Alltag benötigen zunehmend auf die ramponierte Tunnelwirtschaft angewiesen, die diese Dinge von der ägyptischen Seite der Grenze importiert. Die israelische Regierung behauptet, dass Hamas die Tunnels für den Waffenimport nutzen könnte und durch diese Waffen unschuldige Zivilisten getötet werden könnten, so dass die israelische Armee keine andere Möglichkeit hätte als die Wohngebiete entlang der Grenze zu bombardieren, wie sie das bereits getan hat.

Angenommen, die Waffenexporteure der Vereinigten Staaten von Amerika müssten einen Tunnel benutzen, um Waffen nach Israel zu liefern. Die Vereinigten Staaten von Amerika müssten einen gewaltig großen Tunnel bauen, um Platz für die Waffen zu haben, die Boeing, Raytheon, Lockheed Martin und Caterpillar nach Israel liefern. Die Größe eines solchen Tunnels würde diesen zum achten Weltwunder machen, zu einem Grand Canyon der Tunnels, zu einem Jahrtausendprojekt der Architektur.

Man denke nur, was da alles Platz haben müsste.

Man stelle sich vor die Lieferungen von Boeing nach Israel, die durch einen riesigen unterirdischen Tunnel fahren, der breiter als die Spannweite der Flugzeuge und stabil genug für die mit Raketen beladenen Transporter sein muss. Laut dem britischen „Indymedia Corporate Watch“ hat Boeing 2009 18 AH-64D Apache Longbow Kampfhubschrauber, 63 Boeing F15 Eagle Kampfflugzeuge, 102 Boeing F16 Eagle Kampfflugzeuge, 42 Boeing AH-64 Apache Kampfhubschrauber, F-16 Peace Marble II&III Flugzeuge, 4 Boeing 777 und Arrow II Abfangjäger, dazu von IAI entwickelte Lenkraketen und Boeing AGM-114D Longbow Hellfire-Raketen nach Israel geliefert.    

Im September letzten Jahres bewilligte die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika den Verkauf von 1.000 Boeing GBU-9 small diameter-Bomben nach Israel, Wert rund 77 Millionen $.

Jetzt, nachdem Israel so viele dieser Bomben auf Gaza geworfen hat, können die Besitzer von Boeing-Aktien auf mehr Verkäufe, mehr Profit hoffen, wenn Israel wieder neue Bomben braucht. Vielleicht sind schon weitere Massaker geplant? Jedenfalls müsste man den Tunnel sorgfältig instand halten.

Raytheon, einer der größten Waffenproduzenten der Vereinigten Staaten von Amerika mit einem Jahresertrag von rund 20 Milliarden $, ist einer der größten Lieferanten von Waffen für Israel. Im September letzten Jahres genehmigte die US Defense Security Cooperation Agency den Verkauf von Raytheon Bausätzen zur Aufrüstung von Israels Patriot Raketensystem im Wert von 164 Millionen $. Raytheon würde durch den Tunnel auch Bunker Buster-Bomben, Tomahawk- und Patriot-Raketen liefern.

Lockheed Martin ist der weltgrößte Waffenanbieter mit Verkäufen im Jahr 2008 im Wert von 42,7 Milliarden $, wie berichtet wird. Lockheed Martins Produkte umfassen das Hellfire Lenkraketensystem, das laut Berichten in den jüngsten Angriffen gegen Gaza eingesetzt worden ist. Israel besitzt auch 350 F16 Kampfflugzeuge, einige davon von Lockheed Martin.

Man stelle sich vor, dass auch die durch den größten Tunnel der Welt kommen müssten.

Vielleicht könnte Caterpillar Inc. beim Bau eines solchen Tunnels helfen. Caterpillar Inc., der weltgrößte Erzeuger von Konstruktions- (und Destruktions-) -gerät mit über 30 Milliarden $ an Anlagewerten, hat mit Israel den Exclusivvertrag über die Produktion des D9 Militärbulldozers, der besonders für den Einsatz bei Invasionen von Wohngebieten konstruiert ist. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika kauft von Caterpillar Bulldozer und schickt sie der israelischen Armee als Teil des jährlichen militärischen Hilfspakets. Käufe dieser Art werden abgewickelt unter dem US Arms Export Control Act, der den Gebrauch von Militärhilfe der Vereinigten Staaten von Amerika auf „innere Sicherheit“ und „Selbstverteidigung“ einschränkt und den Einsatz gegen die zivile Bevölkerung verbietet. 

Israel bringt mit diesen Bulldozern die Wohnhäuser von Familien zum Einsturz, um Raum für seine Siedlungen zu schaffen. Die amerikanische Friedensaktivistin Rachel Corrie wurde zu Tode zermalmt, nachdem sie sich zwischen einen dieser Bulldozer und das Haus eines palästinensischen Arztes gestellt hatte.

Natürlich gibt es keinen Tunnel für die Lieferung von in den Vereinigten Staaten von Amerika erzeugten Waffen nach Israel. Aber die Waffenlieferungen und die Komplizenschaft der Vereinigten Staaten von Amerika bei den israelischen Kriegsverbrechen sind für viele Menschen in den Vereinigten Staaten von Amerika unsichtbar.

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind die Hauptquelle für Israels Arsenal. Seit mehr als 30 Jahren ist Israel der größte Empfänger von Militärhilfe der Vereinigten Staaten von Amerika, seit 1985 hat Israel pro Jahr etwa 3 Milliarden $ Militär- und Wirtschaftsunterstützung bekommen. (“U.S. and Israel Up in Arms,” Frida Berrigan, Foreign Policy in Focus, 17.Januar 2009) 

So viele Amerikaner bekommen nichts mit von dieser Waffenflut und was diese bedeutet für uns, für Gazas und Israels Kinder, für die Kinder der Welt.

Und so haben die Menschen in Gaza das Recht uns zu fragen, wie kommt ihr damit zurecht? Wie schafft ihr das? Wie könnt ihr euch zurücklehnen und zuschauen, wie eure Steuergelder verwendet werden, um uns zu massakrieren? Wenn es falsch ist, Gewehre und Kugeln und primitive Raketen nach Gaza zu bringen, mit denen unschuldige israelische Menschen getötet werden können, ist es dann nicht auch falsch, Israel mit dem gewaltigen Arsenal aufzurüsten, das gegen uns verwendet worden ist, mit dem in den vergangenen sechs Wochen 400 von unseren Kindern getötet und tausende verletzt und verstümmelt worden sind?

Aber als ich an diesem Morgen über den Tunnels in Rafah stand, unter dem sonnigen Himmel von Gaza, im Ohr das ununterbrochene Gedröhn der mechanischen Beobachter, die ständig bereit sind, Bombenflugzeuge herbeizurufen, stellte mir, einer Amerikanerin, niemand solche harten Fragen. Der Mann in meiner Nähe zeigte auf einen kleinen Unterstand, in dem er und die anderen in einem Ascheneimer ein Feuer gemacht hatten. Sie luden mich ein, hineinzukommen, mich zu wärmen und eine Tasse Tee zu trinken.

   
     
  Kathy Kelly ( kathy@vcnv.org) koordiniert Voices for Creative Nonviolence (Stimmen für kreative Gewaltlosigkeit) - www.vcnv.org  
  erschienen am 10.02.2009 > http://vcnv.org/how-do-people-keep-going     
     
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